Bunt gemischte Tüte der Reitweisen
Beritt, Reitunterricht, Kurse, Buchveröffentlichungen, Showauftritte als Stunt-Reiterin: Es gibt kaum etwas Pferdebezogenes, das nicht zu Yvonne Gutsches Berufsalltag gehört. Und sie lässt sich nicht in Schubladen stecken. Denn um bestmöglich mit ihren Pferden zu arbeiten, lässt sie sich von allen Reitweisen inspirieren.
Autorin: Kristina Sehr
Als ausgebildete Stuntreiterin versteht die Baden-Württembergerin ihr Handwerk. Mittlerweile hat sie jährlich auch viele Showauftritte.
Foto: Lisa Rädlein
Meist erwischt man Yvonne Gutsche irgendwo unterwegs, immer ist sie mit ihren Pferden oder Reitschülern beschäftigt oder auf dem Sprung – außer natürlich, sie ist gerade für eine Gala oder einen Auftritt gebucht. Dabei fing alles mit einer klassischen Sport-Laufbahn an. Als junge Frau fasste Yvonne in der Reining-Szene Fuß, ließ sich in den USA ausbilden. Doch schon bald war ihr das nicht mehr genug. Sie bat Ausbilder anderer Disziplinen um Rat, erhielt Unterricht von Reining-Europameister Grischa Ludwig, Dressurausbilder Horst Becker, Cutting-Koryphäe Ute Holm, Working Equitation Weltmeisterin Mirjam Wittmann und der international bekannten Dressur-Reitmeisterin Uta Gräf, um nur ein paar Namen zu nennen.
Heute widmet sie sich auf dem weitläufigen Gelände ihres „Double Divide Trainingstable“ im beschaulichen Bad Wimpfen der Ausbildung von Pferd und Reiter. Dabei stellt sie die Fairness und das vielseitige Training in den Vordergrund. Anders als viele ihrer Kollegen widmet sie sich nicht nur einer Disziplin, sondern schöpft aus allen Töpfen, wie es ihr passt. Sie sagt: „Auf das individuelle Pferd kommt es an. Nicht auf die Disziplin.“ Mit ekor hat sie über ihre Trainingsmethode und die deutsche Pferdewelt gesprochen, über Galopppirouetten und Sliding Stops – und über die Liebe zum Pferd.
Gelassenheit Kein Problem! Yvonne Gutsche bildet Pferde zu sicheren Partnern aus.
Foto: Lisa Rädlein
Für viele könnte es unkonventionell wirken, dass du spielerisch vom Dressur- in den Westernsattel wechselst. Wie würdest du deinen eigenen Reitstil beschreiben?
Yvonne Gutsche: Als erstes würde ich sagen: Ich handle immer „pro Pferd“. Zunächst mal analysiere ich den Charakter, die Anatomie und das Lernverhalten des Pferdes. Das alles bestimmt den Ausbildungsweg. Ein Bergab-Pferd muss ich anders reiten als ein Bergauf-Pferd, ein unsicheres Pferd braucht eine andere Führung als ein selbstbewusstes Pferd. Beispielsweise habe ich auch einige Warmblüter, die ich eher nach dem Westernsystem starte. Aber es gibt auch Quarter Horses, mit denen ich klassische Dressurarbeit mache. Ich bin im Grunde die bunt gemischte Tüte der Reitweisen. Alles ist dabei.
Vielen Messebesuchern und Showbegeisterten bist du bestimmt bekannt, weil du auf Events oft mit deiner Stute „Chex Me“ auftrittst, mit der du Galopppirouetten genauso lässig präsentierst wie Spins. Warum legst du dich nicht auf eine Reitweise fest?
Yvonne Gutsche: Chex Me war im Grunde das Pferd, das alles ins Rollen gebracht hat. Es gibt genug Kollegen, die zum ersten Mal sahen wie ich mit ihr Galopppirouetten ritt und gesagt haben: „Du hast doch den Schuss nicht gehört.“ (lacht) Chex Me hat bestes Reiningblut und eigentlich eine Reining-Veranlagung zum Niederknien. Aber ich habe sie als Zweijährige gekauft und musste schnell feststellen, dass sie hypersensibel ist. Ein klassischer Ausbildungsweg als Reiningpferd hätte für sie nicht funktioniert. Sie brauchte Halt durch den Schenkel und eine sichere Anlehnung. Also ging ich quasi auf Forschung und habe festgestellt, dass früher im Westernreiten der Loose Rein auch nur der Überprüfung galt und nicht durchgängig genutzt wurde. Ich habe dann einen Weg gesucht, der für Chex Me funktionierte und mir immer mehr Tipps von anderen Trainern geholt. Heute erarbeite ich Sliding Stops über die klassische Schulparade und Spins über Schrittpirouetten. Für mich ist das ein super Weg.
Wie reagieren denn deine Trainer und Kollegen darauf, wenn sie zum ersten Mal feststellen, dass du dich eben nicht nur einer Art des Reitens widmest?
Yvonne Gutsche: Im Grunde haben wir alle großen Respekt voreinander. Und was viele nicht wissen: Ute Holm ritt früher auch mal Dressur. Ich denke, die Menschen müssen open-minded sein, also offen für Neues. Dann ist das kein Problem.
Glaubst du, dass es dem Pferdewohl zugute kommt, dass du dich nicht auf nur einen Trainingsstil festlegst?
Yvonne Gutsche: Die Pferde denken ja nicht in Reitweisen. Sie merken an meiner Körpersprache, an meiner Körperhaltung immer genau, was ich von ihnen möchte. Mein Sitz macht den Unterschied. Da ist es egal, ob ein Dressur- oder Westernsattel auf dem Rücken liegt. Ich denke, mit meiner Methode kann ich ganz individuell aufs Pferd eingehen und stelle mir meinen Baukasten so zusammen, wie er für genau dieses Pferd passt. Die Grundlage bildet immer die Biomechanik des Pferdes. Ich sehe das so: Je mehr Lösungsansätze ich parat habe, desto einfacher wird es. Je mehr Wege ich kenne, desto besser kann ich meinem Pferd helfen.
Trainerin Yvonne Gutsche arbeitet immer individuell aufs Pferd abgestimmt.
Foto: Lisa Rädlein
Heißt das denn im Umkehrschluss: Wer sein Pferd nur nach Schema F trainiert, tut ihm nichts Gutes?
Yvonne Gutsche: Dieses Denken ist ein Problem, das wir in der Pferdewelt haben. Warum hacken wir alle aufeinander herum? Wir sollten keine Trainingsweise per se verteufeln, denn wir könnten stattdessen so viel voneinander lernen. Ich finde, statt immer nur mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sollten wir uns eher alle zusammenschließen und für den Sport einstehen.
Apropos Sport: Bist du selbst noch auf Turnieren aktiv?
Yvonne Gutsche: Nein. Showauftritte und Co. biete ich natürlich an. Aber zu richtigen Turnieren möchte ich erst wieder fahren, wenn es dort mehr um korrektes Reiten geht und weniger um eine möglichst spektakuläre Vorstellung. Sonst macht es mir keinen Spaß. Aber meinen Kollegen schaue ich immer noch gern zu.
Hast du das Gefühl, dass es eine Kluft zwischen sportlich sehr ambitionierten und eher freizeitorientierten Reitern gibt?
Yvonne Gutsche: Ich denke schon. Dabei würde ich auch hier wieder sagen, dass gegenseitiger Respekt und Toleranz wichtig sind.
Was glaubst du: Wie könnten die großen Verbände denn auch wieder mehr Freizeitreiter für sich begeistern?
Yvonne Gutsche: Zunächst mal ist es ja wichtig, zu betonen, dass auch die Dachverbände wie etwa die FN ganz wichtiges Grundwissen in ihren Werten vereinen. Denken wir mal an das Wissen der „Alten Meister“: Etwas Besseres gibt es eigentlich gar nicht. Aber wir müssen das alles auf eine Art und Weise vermitteln, die bei den Menschen ankommt. Dafür sind vielleicht auch ein paar Paradiesvögel nötig, obwohl Neues gerade von alteingesessenen Entscheidern ja gern mal belächelt wird. Aber wir brauchen da ein paar Botschafter, die die breite Masse ansprechen und trotzdem für guten Umgang mit dem Pferd stehen. Die Zusammenarbeit zwischen Lisa Röckener und Ingrid Klimke ist ein super Beispiel. Aber auch einige Influencerinnen wie Anja Mertens machen da einen tollen Job. Diese Leute vereinen Freizeit und Sport – und genau das muss man fördern, finde ich. Wobei hier mit dem Generationenwechsel, also mit Reiterinnen wie Jessica von Bredow-Werndl in der Dressur oder Andreas Kreuzer im Springen, die pro Pferd sind und das Thema Öffentlichkeitsarbeit super verstanden haben, schon viel Gutes passiert.
Wir haben über die Kluft innerhalb des Reitsports gesprochen. Aber auch der Druck von außen wird größer, seit der Pferdesport durch Skandale und Tierwohl-Debatten immer wieder öffentlich in der Kritik steht. Ganz direkt gefragt: Hat der Reitsport ein Problem?
Yvonne Gutsche: Ja. Definitiv. Aber das Problem hat in meinen Augen vor allem der Breitensport. Also der Alltag, auf den eben nicht die Kameras gerichtet sind. Wir haben ein großes Problem mit Menschen, die sich ohne jede Kompetenz ein Pferd anschaffen. Darunter haben die Pferde dann wirklich zu leiden. Ich habe in vielen Freizeitställen schon mehr schlechten Umgang mit Pferden gesehen als in Profiställen. Wenn Halbwissen zu einer zementierten Meinung wird, ist das gefährlich, und darunter leiden am Ende immer die Pferde. Natürlich stehen die erfolgreichen Sportreiter mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Aber es gibt „da oben“ einige tolle Reiter. In jedem Sport gibt es schwarze Schafe, aber man sollte nicht verallgemeinern. Gerade im Netz passiert das ja immer wieder. Aber da sage ich mir: Wer mit Lernen und der eigenen reiterlichen Ausbildung beschäftigt ist – und die endet nie – der hat doch eigentlich keine Zeit einen Online-Shitstorm zu starten.
Bodenarbeit als Grundlage für Dressur, Western und Co.: Yvonne Gutsche arbeitet zunächst an den Basics.
Foto: Lisa Rädlein
Was würdest du dir für die Pferdewelt wünschen?
Yvonne Gutsche: Dass wir wieder ein bisschen „back to the roots“ gehen. Früher sind die Menschen so selbstverständlich mit den Pferden umgegangen, heute trauen sie sich mit ihnen teilweise bei Wind nicht mehr vor die Tür. Mir wäre es wichtig, dass wir uns wieder mehr echtes Wissen rund ums Pferd aneignen. Mehr Kompetenz. Dass wir mehr darüber reflektieren, wo im Umgang mit dem Pferd wir vielleicht auch selbst das Problem sind. Und zuletzt noch, dass wir mehr zusammenstehen und uns darauf besinnen, dass wir doch irgendwann alle mal aus Leidenschaft mit dem Reiten begonnen haben. Wir alle tun doch das, was wir tun, eigentlich aus demselben Grund: der Liebe zum Pferd.
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