Rasseportrait: Vielseitige Sportler

1. September, 2022 | Ausgabe II/2022, Das Pferd., Das Pferd. [II/2022]

Sportlich, leistungsbereit, edel: So kennen und schätzen Pferdemenschen eine der erfolgreichsten Pferderassen weltweit – den Hannoveraner. Mit ihren langen Beinen bewegen sich die Hannoveraner grazil im Viereck oder überwinden spielend die schwersten Hindernisse. Gepaart mit ihrem sensiblen Charakter, Mut und der richtigen Portion Temperament sind sie der Inbegriff des heutigen Sportpferdes.

Autorin: Jana Haack

Foto: Edition Boiselle

Mit rund 15.000 eingetragenen Stuten und fast 600 registrierten Hengsten gehört die Hannoveraner-Zucht zu den größten und damit auch vielfältigsten überhaupt. Neben Unterschieden zwischen dem spring- und dressur­betonten Typ, die im Zuchtprogramm des Verbandes aufgeführt sind, variieren die Pferde auch im Stockmaß zwischen 165 und 180 Zentimeter. Außerdem sind für die Hannoveraner-Zucht eine hohe Zahl anderer Rassen zugelassen, darunter viele deutsche Sportpferde. Dieser Umstand schafft weitere Vielfalt. Gibt es DEN Hannoveraner also überhaupt? Was eint Pferde dieser Rasse? Und was zeichnet sie im Vergleich mit anderen sportlich geprägten Warmblütern aus?

Vom Arbeitspferd zum Sportpartner

Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick in die Geschichte der Hannoveraner. Laut dem Hannoveraner Verband e.V. begannen Bauern bereits im 16. Jahrhundert in der Region um Hannover gezielt mit holsteinischen und mecklenburgischen Hengsten ein robustes, vielseitig einsetzbares Arbeitspferd zu züchten, das sich sowohl für die Landwirtschaft als auch für den Militärdienst eignete. 1735 wurde schließlich das Landgestüt Celle gegründet, das von nun an jeden Deckakt und jedes geborene Fohlen registrierte.
Die Züchter professionalisierten sich immer weiter und ihre Bemühungen mit englischen Vollblut- und Halbbluthengsten ein leistungsfähigeres Kutsch- und Militärpferd zu züchten, mündeten 1922 schließlich in der Gründung des Verbandes Hannoverscher Warmblutzüchter. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten Trakehner und Vollblüter aus dem robusten und zuverlässigen Arbeitspferd ein rittiges, edleres und großrahmigeres Warmblut für den Reitsport. Dabei behielten die Hannoveraner allerdings stets ihren verlässlichen Charakter und Leistungswillen.

Hochfein galt bis zu seinem Tod 2020 als einer der schönsten Hengste Marbachs.
Foto: Edition Boiselle

Edle Erfolgsgaranten

Schnell setzten sich die Pferde aus Niedersachsen an die Spitze des Reitsports. 1928 war es ein Hannoveraner, der das erste Mal überhaupt eine Goldmedaille für Deutschland bei den olympischen Spielen holte. Draufgänger gewann mit seinem Reiter Carl-Friedrich Freiherr von Langen sowohl Einzel- als auch Mannschaftsgold in Amsterdam.

So erfolgreich geht es bis heute weiter: Wo immer es Rekorde aufzustellen gibt, sind Hannoveraner nicht weit. Ein Star der 1980er Jahre, Deister, gilt bis heute als eines der erfolgreichsten Springpferde. Preisgelder in Höhe von 1.429.350 D-Mark bescherten dem Dunkelbraunen den Spitznamen „springender Geldschrank“. Weitere Springlegenden wie For Pleasure und Goldfever reihen sich in diese Tradition ein.
Auch Reitsportgrößen wie Ludger Beerbaum und Isabell Werth verdanken ihre größten Erfolge den Hannoveranern. Während Ratina Z unter Ludger Beerbaum zum erfolgreichsten Springpferd aller Zeiten wurde, gewann Isabell Werth mit Gigolo viermal Olympisches Gold, zweimal Silber sowie vier Welt- und acht Europameistertitel. Er gilt damit als das erfolgreichste Sportpferd der Welt. Und auch in der Vielseitigkeit glänzen die Hannoveraner. FRH Butts Abraxxas gewann unter Ingrid Klimke zweimal olympisches Mannschaftsgold und siegte mit der Mannschaft bei der Europameisterschaft 2011 in Luhmühlen.

Neben ihren herausragenden körperlichen Voraussetzungen ist es vor allem ihr unbändiger Wille, der die Hannoveraner für ihre Reiter so besonders macht. Nach dem Tod von Gigolo 2009 schrieb Isabell Werth: „Er war mir Lehrmeister, Sportkamerad und Freund; seiner Zuverlässigkeit und Leistungsbereitschaft verdanke ich viel.“

Als Sohn des Vererbers Vitalis führt der Hengst Vermeer auch niederländisches Blut, stammt aber aus einer hannoveranischen Mutterlinie.
Foto: Edition Boiselle

Wo die Reise hingeht

Heute ist der Name Hannoveraner längst nicht mehr Programm. Die stetig steigende Mobilität und insbesondere die Weiterentwicklung des Besamungswesens haben das Zuchtgebiet bis über die europäischen Grenzen hinaus erweitert.

Das Zuchtziel bleibt allerdings gleich: Auch in Zukunft möchte der Hannoveraner Verband e.V. „erfolgreiche Sportpferde für alle Disziplinen“ hervorbringen, erklärt Ulrich Hahne, Zuchtleiter des Verbandes. Daneben gebe es aber auch einige Züchter, die ihren Fokus auf ein „gut zu reitendes Amateurpferd“ legen. Nach Ansicht des Zuchtleiters sind vor allem die Hannoveraner Stutenstämme das Herzstück, das die Identität des Hannoveraners bestimmt. „Die gemeinsame Basis aller Züchter sind Charakter, Rittigkeit und Gesundheit“, betont er.

Mittlerweile versucht der Hannoveraner Verband e.V. vor allem Stabilität in seine Zucht zu bringen, da diese in den vergangenen 20 Jahren deutlich leichtere und edlere Pferde hervorgebracht hat – eine Entwicklung, die nicht aus dem Gleichgewicht geraten soll. „Eine weitere Veredlung ist in vielen Fällen nicht mehr erforderlich und auch nicht ratsam“, erklärt Ulrich Hahne.

Stattdessen sollen mit Programmen wie der 2007 gestarteten „G-Initiative“ vermehrt besondere Hannoveraner-Linien gefördert werden, die auch für Robustheit, Kraft und Leistungsbereitschaft stehen. So wurden insbesondere Hengste aus der berühmten G-Linie des Hengstes Goldfisch II eingesetzt. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der aktuell populäre Deckhengst Grey Top. Er zeigt, wofür der Hannoveraner steht: ein für den Sport optimaler Körperbau, verknüpft mit Leistungswillen und Energie. Diese Eigenschaften sollen es dem Pferd ermöglichen, schwerste Dressurprüfungen wie einen Tanz und die anspruchsvollsten Parcours wie Spielerei aussehen zu lassen.

Die Geschichte des Hannoveraners reicht weit zurück. Und sie wird stetig weitergeschrieben.