Berühmte Pferde: Halla, die Wunderstute des Springsports

1. September, 2022 | Ausgabe II/2022, Das Pferd., Das Pferd. [II/2022]

In jeder ekor-Ausgabe stellen wir ein berühmtes Pferd und seinen Ausbilder vor. Diesmal rücken wir eines der wohl bekanntesten Springpferde der Welt in den Mittelpunkt: Halla. Ihr Ausbilder und Reiter Hans Günter Winkler verstarb im Jahr 2018. Aber sein Buch „Halla, meine Pferde und ich“ erzählt ihre Geschichte so detailreich, dass sie darin bis heute weiterlebt. Redakteurin Kristina Sehr hat es gelesen.

Autorin: Kristina Sehr

Hans Günter Winkler und „seine“ Halla: Ein Paar, das Geschichte geschrieben hat.
Foto: IMAGO / Horstmüller

Man schreibt das Jahr 1951, als Hans Günter Winkler – ein noch junger, aber bereits sehr erfolgreicher Springreiter – auf Halla trifft. Winkler trainiert im Stall des Olympiade-Komitees, wo Halla aufgrund ihres Talents gefördert werden soll. Doch die Stute erzielt immer wieder schlechte Dressurergebnisse, die ihr die Karriere als Vielseitigkeitspferd verhageln. Trotzdem nimmt Winkler sich ihrer an – auch, weil er ihr großes Springtalent erkennt. Später wird er über sie schreiben: „Diese Pferdedame war wohl der komplizierteste Fall von allen.“

Und tatsächlich macht Halla es ihrem Reiter nicht leicht. Bis heute schmunzelt man darüber, dass Winkler sie einst als „hysterisches Frauenzimmer“ bezeichnete. Dabei liegt sicherlich auch manche Unart in einer schwierigen Kinder­stube begründet, könnte man mutmaßen: Halla, Nachkomme einer französischen Offiziersstute und eines Traberhengstes, wird auf der Rennbahn „eingebrochen“ und zu einem Rennpferd gemacht; auch Hindernisrennen muss sie absolvieren. Sie hat wechselnde Reiter, bis Winkler sich ihrer annimmt, sie gilt als schreckhaft und webt in der Box.
Der junge Mann erkennt den speziellen Charakter der Stute und geht auf sie ein. Er nimmt sich Zeit für sie und gibt ihr die Chance, die manch anderer Reiter ihr zuvor verwehrt hat. Aber: Dies tut er nicht nur mit Streicheleinheiten. Er selbst schreibt später, er habe sie in der Box festgebunden, ihr das Futter entzogen, ihr bei Unarten einen „Nasenstüber“ gegeben. Und er hält auch fest: „Ich nahm Halla am Anfang hart ran.“
Hört man heute von Hallas einzigartiger Karriere, werden diese Trainingsmethoden selten thematisiert. Und doch gehören sie untrennbar zur Biografie der Stute. Hallas Geschichte vereint harte Trainingsmethoden mit Tierliebe und spiegelt damit die Widersprüchlichkeit des Reitsports auf ganz besondere Weise wider.
Doch Winkler setzt nicht nur auf Disziplin, sondern versucht auch, mit Halla einen individuellen Weg zu finden. Der ungestümen Stute bringt er bei, vor dem Sprung auf die Reiterhilfen zu warten und so den richtigen Absprungpunkt zu finden. Damals noch eine beinahe innovative Technik.

Höher, schneller, weiter

Hallas Geschichte ist auch ein Zeugnis der (Spring-)Reitkultur in den 1950er-Jahren. Sie zeigt, dass „Höher, schneller, weiter“ nicht etwa nur ein Prinzip der Gegenwart ist, sondern damals ganz besonders galt: In Madrid übersprang Halla bereits im Jahr 1953 eine zwei Meter hohe Mauer, fünf Jahre später gelang ihr in Dortmund gar ein 2,20 Meter hoher Sprung. Dass ein Reiter sein absolutes Top-Pferd über derartige Höhen springen lässt? Heute beinahe undenkbar.

Ebenso bemerkenswert ist ein Vorfall im Juni 1954, den Winkler eindrücklich beschreibt: Beim Pferdetausch im Rahmen der Weltmeisterschaft verunglückt der Spanier Garcia Cruz mit Halla; die Stute ist sichtbar verletzt und hebt das Vorderbein an. Doch als ein Tierarzt diagnostiziert, dass es sich nur um eine Prellung handle, muss Halla die Prüfung laut Reglement beenden. Auch dies wäre heute wohl kaum noch vorstellbar. Halla wird anschließend für immer eine Verdickung am Vorderbein behalten. Winkler gewinnt mit ihr – wie auch im Folgejahr – den Weltmeistertitel.
Im Jahr 1956 schreibt das Paar schließlich endgültig Geschichte: Mit einer denkwürdigen Runde gewinnen Halla und ihr Reiter die Einzel- und Mannschafts-Goldmedaille der Olympischen Spiele in Stockholm. Schon in der ersten Runde des Championats zieht Winkler sich einen Muskelriss zu. Berauscht von einem Medikamentencocktail, der gegen die Schmerzen helfen soll, verliert er schon beim Abreiten das Bewusstsein. Während der Prüfung hält er sich an der Mähne des Pferdes fest, schreit vor Schmerzen über jedem Sprung auf, doch Halla trägt ihn fehlerfrei ins Ziel. Später wird ein Tierarzt feststellen, dass sie sich bei diesem historischen Ritt eine Sehnenverletzung zuzog, weil das ganze Reitergewicht auf ihrem Hals lastete.

Viele weitere Siege trägt Halla davon, bis sie 1960 mit 15 Jahren aus dem Sport verabschiedet wird. Ihr 125. Sieg ist zugleich auch ihr letzter Turnierstart. Danach sitzt niemand mehr auf ihrem Rücken. Ihren Lebensabend darf sie als Zuchtstute verbringen. Die kulthafte Verehrung der Stute reißt allerdings nicht ab: Menschen schreiben Postkarten an das Gestüt und pilgern regelrecht zur neuen Heimatstätte des Pferdes. Die Trächtigkeiten werden in den Medien zum Thema, selbst die englische Königin erkundigt sich bei einer Begegnung mit Hans Günter Winkler nach Halla. Bis heute ziert eine Bronzestatue nach ihrem Abbild den Eingang der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Warendorf.

„Für unseren Sport aber sollten wir das Interesse wecken und das Verständnis fördern. Denn er allein ist es, der dem Pferd heute noch eine Überlebenschance bietet. Wir wollen nicht die letzten Reiter sein.“

Ohne Frage: Hallas Geschichte ist vielschichtig. Ihre Biografie ist vor allem die eines hart arbeitenden Sportpferdes, in dessen Leben die Leistung an erster Stelle stand. Doch wer Winklers Buch liest und seine Geschichte näher untersucht, kommt auch nicht umhin, zu erkennen, dass die Stute und ihr Reiter eine echte Bindung zueinander hatten. „Eine wirkliche Partnerin“, nennt Winkler sie bis zum Schluss. Und er begrüßt sie zwar lapidar mit den Worten „Na, Alte, wie geht’s dir?“, besucht sie aber jahrelang alle paar Wochen.

Winkler und Halla verband nicht nur eine Freundschaft, sondern insbesondere die gemeinsame Sportlerkarriere. Und doch stellt der Springreiter am Ende ihrer Karriere anerkennend fest: „Ich weiß, dass eine Halla nicht wiederkommt.“

Damit ist Halla nicht nur eine Legende des Sports. Sie steht auch stellvertretend für unzählige Sportpferde, die eben beides vereinen: Sie sind Sportpartner und Freund zugleich. Zwei Rollen, die oft im Widerspruch zueinander stehen – und die doch untrennbar mit dem Reitsport verbunden sind. (Quelle: „Halla, meine Pferde und ich“, v. Hans Günter Winkler, erschienen im FN-Verlag)

Halla, meine Pferde und ich
Von Hans Günter Winkler

ISBN-10: 3885424304
ISBN-13: 978-3885424307
Mit vielen Fotos
FN Verlag
1956 erstmalig erschienen – 2. überarb. Version von 2006 – gebunden – 224 Seiten