Vorreiter im Netz

1. September, 2024 | Ausgabe II/2024, Ein Team., Ein Team. [II/2024]

In Zeiten eines immer kühler werdenden Klimas auf Social Media kann es ganz schön viel Mut erfordern, sich online weiterhin zu zeigen. Doch ohne Vorbilder geht es nicht. Unsere Autorin hat mit drei Reiterinnen gesprochen, die positive Zeichen setzen wollen.

 

Autorin: Kristina Sehr

Nur ein kurzer Moment der Anspannung oder ein gestresstes Pferd? Anhand eines einzelnen Fotos ist das schwer ­zu beurteilen. So ist es nicht verwunderlich, dass Diskussionen im Netz oft emotional geführt werden.
Foto: Adobe Stock

„Der sollte man das Pferd wegnehmen.“

„Würde ich das live sehen, würde ich dich aus dem Sattel
ziehen.“

„Ich könnte kotzen, wenn ich dich beim Reiten sehe.“

Nein, die Urheber dieser Zitate müssen nicht genannt werden – denn solche Kommentare sind täglich zigfach zu lesen. Diese Sätze sind nicht zitierwürdig, weil sie nicht originell sind, sondern wieder und wieder ausgesprochen werden, und zwar von ganz verschiedenen Menschen. Online, auf Instagram, Facebook, TikTok und ähnlichen Plattformen. Manchmal anonym, oft aber sogar in Verbindung mit den Klarnamen der jeweiligen Benutzer.

Das Klima auf Social Media ist rau. Ja, es gibt sie, die positive Seite der sozialen Medien: In den Apps werden auch spannende Inhalte mit Mehrwert geteilt, es werden wichtige Debatten angestoßen und so manch einer findet wertvolle Inspirationen und Anregungen im Netz. Das alles muss mitgedacht werden, wenn die dunkleren Seiten von „Insta“ und Co. beleuchtet werden. Die, die Menschen regelrecht krank machen und für ein immer angespannteres Klima sorgen.


Selten konstruktiv

Kaum ein Thema wird online aktuell so emotional diskutiert wie der Status quo des Reitsports und das Pferdewohl, das im Rahmen des Sports gewährleistet wird oder eben nicht. Zweifelsohne: Diese Debatte ist wichtig. Viele Experten sind sich einig, es sei längst fünf vor Zwölf und an der Zeit, dass sich im Sinne der Pferde vieles verändert. Auch die Redaktion des ekor-Magazins macht immer wieder auf Missstände aufmerksam und ist bemüht, Positivbeispiele aufzuzeigen. Aber: Wie werden die Online-Diskussionen geführt – und wie konstruktiv sind sie wirklich?

„Shitstorm“ bedeutet wörtlich übersetzt: „Sturm aus Scheiße“. Ist einer Naturgewalt aus Fäkalien viel Positives oder gar Produktives abzugewinnen? Wohl eher nicht. Trotzdem werden insbesondere Sportler, aber auch Influencer und Marken immer wieder überhäuft mit einer solchen Flut an Wut und Vorwürfen. Und natürlich ist es unumgänglich, Kritik zu äußern, auf Verstöße gegen das Pferdewohl hinzuweisen und Aufklärung von Tätern zu fordern. Aber: Wie sinnvoll sind beleidigende Nachrichten, Online-Drohungen und Kommentare, die zu Selbstjustiz aufrufen? Und: Wie kommt es dazu überhaupt?


In der Filterblase

Durch die Algorithmen, die über die Ausspielung von Social-Media-Inhalten entscheiden, kommt es immer wieder zu sogenannten „Filterblasen“, die man sich wie eine Art Echokammer vorstellen kann: Stets aufs Neue werden Benutzern genau jene Inhalte angezeigt, die mit ihren Meinungen übereinstimmen. Durch dieses permanente Aufeinandertreffen mit Gleichgesinnten entsteht schnell eine immer extremere Haltung zu einem bestimmten Thema. Und warum das Ganze? Weil wir uns schlichtweg wohler fühlen, wenn uns Meinungen präsentiert werden, mit denen wir übereinstimmen. Und dieses Gefühl wiederum sorgt dafür, dass wir mehr Zeit auf der jeweiligen Plattform verbringen. Gleichzeitig sind wir so immer weniger daran gewöhnt, andere Meinungen aushalten zu müssen und mit Menschen, die uns widersprechen, zu diskutieren. Warum auch, wenn es so einfach ist, einen Kommentar abzusetzen und die App wieder zu verlassen? Soll die fremde Person im Netz doch mit sich selbst weiterdiskutieren!

Es sind kaum echte Konsequenzen zu befürchten, wenn wir andere Menschen „trollen“, also unsachlich oder unhöflich unseren Senf dazugeben und wieder verschwinden. Das Netz erinnert, was Online-Debatten betrifft, nach wie vor an einen Wilden Westen. Diese Verrohung hängt auch mit der Natur von Online-Kommunikation zusammen, wie die Wissenschaft mittlerweile argumentiert: Viele Elemente der nonverbalen Kommunikation fehlen – Gesichtsausdruck, Tonfall, Gestik. Wir vergessen darum ganz einfach, dass wir es mit anderen fühlenden Menschen zu tun haben. So wird unter ­Wissenschaftlern und Psychologen auch vom „Online-Enthemmungseffekt“ gesprochen.
Aber wie können sich Pferdefreunde dann noch einer so sensiblen Debatte wie der rund um das Pferdewohl widmen? Und wie kann ein konstruktives Miteinander entstehen, das die sogenannte „Social License“, also die breite gesellschaftliche Akzeptanz des Pferdesports, weiterhin gewährleistet?


Positivbeispiele im Netz

Danach haben wir drei Reiterinnen gefragt, die selbst nicht nur für einen fairen Umgang mit ihren Pferden stehen, sondern sich auch online für einen positiven Diskurs starkmachen: Vielseitigkeitsreiterin Julia ­Mestern, Pferdeosteopathin Sarah Panje und Dressurreiterin ­Jessica von Bredow-Werndl. Sie alle sind mutig und gehen als Positivbeispiele voran – aller möglichen Kritik zum Trotz. Und sie zeigen, dass es gelingen kann, sachlich mit Kritik umzugehen und gemeinsam mit ihrer Online-Community
in einen echten Austausch zu kommen.

Beispiele wie die der hier zu Wort kommenden Reiterinnen können zu einem positiven Diskurs beitragen. Es erfordert zweifelsfrei Mut, nicht nur mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern Möglichkeiten aufzuzeigen. Was könnte besser zu einer gemeinsamen Weiterentwicklung im Sinne der Pferde beitragen, als den Blick gelegentlich von Negativbeispielen abzuwenden und wieder auf Lösungsansätze und Ideen zu lenken? Denn das ist es doch, was die meisten von uns eint: Egal, welche Disziplin uns begeistert, welche Pferderasse wir mögen oder ob wir uns zu Hause oder auf dem Turnierplatz heimischer fühlen – die meisten Pferdebegeisterten, davon sind wir im ekor-Team überzeugt, wünschen sich eine Verbesserung der Haltungs- und Trainingsbedingungen für Pferde. Die Beispiele von Julia, Sarah und Jessica laden ein, zusammen in dieselbe Richtung zu schauen. Jeder auf seine Art, aber doch im gemeinsamen Gespräch – im Sinne der Pferde.


Julia Mestern

Vielseitigkeitsreiterin

Foto: Julia Baukelmann

Welche Rolle spielt Social Media für dich?
Die sozialen Medien sind wichtig geworden. Man kann sein Tun dort zeigen, aber sich auch von dem abgrenzen, was man nicht unterstützen möchte. Das finde ich wichtig, damit wir Reiter nicht alle über einen Kamm geschoren werden. Allerdings ist Social Media sehr limitierend. Eine inhaltliche Aufklärung kann man in der verkürzten Form der Darstellung über Bilder mit kurzen Texten nicht leisten; man kann nur Denkanstöße geben und wachrütteln.

Wie nimmst du die Stimmung online wahr?
Manchmal vermisse ich die Höflichkeit und Sachlichkeit in den Diskussionen. Häufig wird man pauschal angegriffen, obwohl man eigentlich „pro Pferd“ argumentiert. Ich kritisiere online auch mal andere, aber man sollte konstruktiv bleiben, sonst bringt der Kommentar niemanden weiter. Ideal ist es, wenn man mit der Kritik eine Lösung vorschlägt.

Hast du selbst schon mal einen Shitstorm erlebt?
Ich habe da großes Glück – oder ich gehe vielleicht mit manchen Themen sensibel genug um, sodass mir das bisher erspart blieb. Trotzdem bewegen mich ein oder zwei „blöde“ Kommentare oft mehr als 100 positive.
Wie steht es deiner Meinung nach um die „Social License“, also die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz des Pferdesport?
Öffentlich steht der Sport sehr negativ da. Ich versuche, mich selbst immer wieder zu hinterfragen. Schon immer bin ich auch zu Turnieren gefahren, ich liebe den Sport, aber ich muss damit leben, dass ich als Turnierreiterin auch einer Kritik ausgesetzt bin, die mit mir persönlich vielleicht gar nichts zu tun hat. Momentan bin ich in dieser Hinsicht sehr streng zu mir selbst und frage mich, in welche Richtung ich gehen möchte. Ich weiß es noch nicht.

Siehst du dich selbst in einer Verantwortung?
Ja, ich denke, wir alle tragen eine Verantwortung. Und jeder interpretiert die Situation gerade anders. Für manche bin ich selbst noch viel zu sportlich unterwegs. Für andere Kollegen aus dem Sport bin ich der unbequeme Störenfried. Dabei möchte ich im Grunde nur zeigen: Wir sind nicht alle „schlecht“. Viele Reiter versuchen aktuell, Dinge zu hinterfragen und zu ändern. Einige trauen sich nicht, offen ihre Meinung zu sagen. Aber viele teilen meine Werte.

Wie gehst du selbst mit Kritik um?
Ich versuche, Lösungen zu finden und zu schauen, was man anders machen könnte. Aber das ist natürlich anstrengender, als eine Online-Diskussion zu führen. Die erschöpft sich im Reden; Veränderung erfordert auch überlegtes Handeln!

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Dass wir das Tierwohl noch mehr in den Fokus rücken und zum Beispiel „scharfem Equipment“ mehr Einhalt gebieten. Aber auch, dass wir bei aller Kritik auch wieder dazu kommen, über Lösungen und Alternativen zu sprechen, um gemeinsam die Pferdewelt positiv zu gestalten.

 

 

Sarah Panje
Osteopathin und Physiotherapeutin für Pferde

Foto: Julia Neumann

Du beschäftigst dich beruflich vor allem mit der Gesundheit von Pferden. Welchen Stellenwert hat Social Media in deinem Berufsalltag?
Dafür spielt Social Media keine so große Rolle. Ich habe zwar Kooperationen, bin aber nicht von den sozialen Medien abhängig. Sie sind aber ein schönes Instrument, um aufzuklären und Wissen zu vermitteln.

Welche Erfahrungen hast du bisher mit Kritik – oder sogar Hass – im Netz gemacht?
Zum Glück bin ich damit aktuell sehr wenig konfrontiert. Früher habe ich regelmäßig Inhalte von meinem Pony gezeigt – das war, kurz bevor es in seine Rente ging. Da kamen auch mal negative Kommentare. Doch dahinter steckten Menschen, die mein Pony und mich nicht kannten.

Wie bist du in solchen Fällen mit dieser Kritik umgegangen?
Ich halte mir immer vor Augen, dass ich eben auch nur zu 80 Prozent „perfekt“ bin – nicht zu 100. So wie wir eigentlich alle. Dieser Gedanke hilft mir. Aber tatsächlich zeige ich mittlerweile keine Einblicke in mein Reiten mehr, weil ich mich beleidigenden oder angreifenden Kommentaren einfach nicht aussetzen möchte.
Wie empfindest du das Diskussionsklima auf Social Media?
Die Stimmung ist schwierig. Je mehr ich mir online ansehe, desto mehr Chaos ist in meinem Kopf. Ich versuche darum ganz bewusst, mich zu fokussieren – und zwar auf meine eigene Vorbildfunktionen. Meine eigene kleine Bubble, also mein digitaler „Ort“, an dem ich mit meiner Community spreche, ist wie ein „Safe Space“ für mich. Dort macht der Austausch großen Spaß.

Bist du deswegen auch weiterhin aktiv in den sozialen Netzwerken?
Ja, denn gelegentlich erfordert das Ganze schon Mut und Durchhaltevermögen. Aber ich finde es wichtig, dass es den Account gibt und habe mich darum bewusst entschieden, weiterzumachen. Ich möchte die ganze Pferde- beziehungsweise Reiterwelt ein Stück besser machen und sie mit Wissen versorgen. Mein Wunsch wäre es, eine Art Anker zu bilden für alle, die etwas Orientierung suchen.

Hast du das Gefühl, eine Verantwortung zu tragen?
Auf jeden Fall. Denn ich glaube, jeder Mensch, der auf Instagram zu vielen Menschen spricht, hat eine Vorbildfunktion.

Wie steht es deiner Meinung nach um das Image der Pferdewelt?
Puh, die aktuelle Lage ist schwierig. Ich frage mich oft: Warum zerfleischen wir uns gegenseitig, anstatt Seite an Seite zu stehen und gemeinsam das zu verteidigen, was wir lieben? Natürlich müssen wir manche Dinge ändern. Aber das wird nicht gelingen, indem wir einander beschimpfen.

Was erhoffst du dir für die kommenden Jahre von der Pferdewelt?
Dass wir uns nicht alles selbst kaputtmachen. Es muss einiges passieren, vor allem im höheren Sport. Aber ganz ehrlich: Meine Jugend habe ich in alten Gummireitstiefeln auf ländlichen Reitturnieren verbracht, und das war die schönste nur denkbare Kindheit für mich. Ich wünsche mir, dass wir uns das erhalten. Aber manche Dinge brauchen Zeit – wir können nicht alles übers Knie brechen. Ich denke, wenn jeder von uns versuchen würde, an sich zu arbeiten und die Dinge ein Stück besser zu machen, wäre schon viel getan.


Jessica von Bredow-Werndl

Dressurreiterin

Foto: Paul Schirnhofer

Welche Rolle spielt Social Media für deinen Beruf?
In den sozialen Netzwerken kann ich zeigen, wer ich bin und für welche Werte ich stehe.

Wie nimmst du die Stimmung in den sozialen Medien aktuell wahr?
Grundsätzlich kann ich auf großen Support auf meiner Community vertrauen; dafür bin ich sehr dankbar. Trotzdem gibt es immer wieder gesichtslose Profile, die anscheinend Energie daraus ziehen, etwas Schlechtes in allem und jedem zu suchen. Das hat zugenommen und passiert heute noch häufiger als vor einigen Jahren – und das macht mich traurig.

Also bist du auch selbst regelmäßig online mit Kritik konfrontiert?
Zum Glück sehr wenig. Aber die Barriere ist sehr niedrig für Follower, Kritik auszuüben. Meistens sind das Profile, die ihr eigenes Gesicht nicht zeigen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man Energie daraus schöpft, andere schlecht zu machen. Ich bin aber in einer sehr guten Position, denn manchmal spüre ich einen richtigen Energieschub, wenn ich sehe, wie meine Community auf nicht so freundliche Kommentare reagiert. Da muss ich selbst gar nichts mehr tun, denn andere Menschen reagieren und hinterfragen diese Kommentare bereits.

Die Pferdewelt spricht aktuell oft über die „Social License to operate“, also die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz des Reitsports. Wie ist es darum deiner Meinung nach bestellt? Und: Was hat Social Media damit zu tun?
Grundsätzlich geht es immer um Verantwortung. Verantwortung für unsere Pferde und unser Tun zu übernehmen. Ganzheitlich. Ich habe mit Social Media begonnen, weil ich zeigen will, dass ich meine Pferde auf die Koppel stelle. Ich glaube, Social Media ist eine wahnsinnig tolle Plattform, um zu zeigen, was wir tun. Ich bin für Offenheit und darum lade ich auch Menschen zu unseren „Aubenhausen Lives“ nach Aubenhausen ein, um zu zeigen, wie unsere Stallungen aussehen und wie wir mit unseren Pferden leben und arbeiten. Social Media bietet mir dafür sehr gute Möglichkeiten, mein Wissen und das, was ich mit meinen Pferden tue, mit allen teilen zu können. Dafür haben wir auch den Aubenhausen Club gegründet. Wir zeigen in unserer Academy, wie wir mit den Pferden arbeiten und welchen ganzheitlichen Ansatz wir verfolgen.

Wie wichtig ist es deiner Meinung nach – gerade angesichts der aktuellen Stimmung –, auf Social Media aktiv zu sein und eine Vorbildrolle einzunehmen?
Ich bin mir meiner Vorbildfunktion bewusst und sehe sie als große Chance, um zu zeigen, dass die absolute Liebe zu den Pferden Hand in Hand mit dem Spitzensport gehen kann und muss. Das eine bedingt das andere.