Trainingsstunde: Das Pferd empowern
Echte Freiheit mit dem eigenen Pferd erleben – das wollen wir wohl alle, oder? Alizée Froment, bekannt für ihre beeindruckenden Schaudarbietungen mit nichts als einem Halsring, erklärt, wie’s geht.
Autorin: Kristina Sehr
Foto: Morgan Froment
„Gebisse sind nicht per se falsch, wenn sie richtig benutzt werden.“
Kann man Freiheit eigentlich trainieren?
Das klingt wie ein Paradoxon in sich, oder? Aber: Wer größtmögliche Freiheit mit seinem Pferd erleben möchte, muss bereit sein, sich dafür auf eine Reise zu begeben, die Zeit, Arbeit und Einfühlungsvermögen erfordert. Dafür steht Alizée Froment. Sie ist bekannt für ihre atemberaubenden Schauvorführungen, reitet im Rahmen ihrer Shows oft ohne Gebiss, zeigt höchste Lektionen mit nichts als einem Halsring am Pferd. Die Französin zeigt auf gefühlvolle Weise, wie echte Freiheit aussehen kann: Mensch und Pferd in Harmonie vereint. Aber lässt sich eine solche Partnerschaft im Training erarbeiten?
Das Equipment
Fragt man Froment, geht es in der Ausbildung ihrer Pferde vor allem um Individualität. Für jedes Pferd einen maßgeschneiderten Weg zu finden, ist das erklärte Ziel der passionierten Dressurreiterin. Darum bildet sie auch die meisten ihrer Pferde zu Beginn mit einer Wassertrense aus – und reitet sie nicht etwa von Anfang an gebisslos. „Gebisse sind nicht per se falsch, wenn sie richtig benutzt werden“, erläutert sie. „Im Gegenteil: Sie sind dafür da, dem Pferd den Weg und die Balance zu zeigen, wenn es auf einmal mit dem Gewicht auf dem Rücken zurechtkommen muss. Es braucht schon ein wirklich kluges Pferd, um ohne Gebiss, also ohne ‚Hilfe von außen‘ zu lernen, mit dem eigenen Körper umzugehen und in eine Balance zu kommen.“
Dank jahrelangem Training sind Sultan und Alizée ein eingespieltes Team. Die beiden vertrauen einander blind.
Foto: Morgan Froment
Die Berufsreiterin vergleicht die Ausbildung ihrer Schützlinge mit dem Lesenlernen bei jungen Kindern. „Sollte mein Kind lieber ganz allein lesen lernen, oder ist es einfacher, wenn es einen Lehrer hat und in einem Klassenzimmer sitzt?“ Darum sei es oft leichter, ein Gebiss zu nutzen, um dem Pferd auf sanfte Weise dabei zu helfen, den Körper zu benutzen. Sie sagt: „Ich selbst variiere gern zwischen Gebiss, gebisslosem Zaum und Halsring. Und ich habe auf meinem Weg Folgendes entdeckt: Absolut alle Pferde können irgendwann, nach einer soliden Ausbildung und mit der richtigen Vorbereitung, mit einem Halsring geritten werden. Aber nicht alle Pferde fühlen sich mit einem gebisslosen Zaum wohl.“
Ähnlich sei es in puncto Sattel. „All meine Pferde fühlen sich besser an, wenn ich nur mit Pad reite. Sie haben viel mehr Schulterfreiheit“, sagt Froment. „Aber das geht nur, wenn der Reiter bereits einen sehr guten Sitz, ein solides Körperbewusstsein und eine souveräne Balance hat.“
Das Pferd
Im alltäglichen Training ihrer Pferde variiert die französische Reiterin zwischen Longeneinheiten, Ausritten, Stretching-Einheiten, Cavalettitraining, TRT-Training, Dressurreiten und Freiarbeit. „Die Freiarbeit – egal ob vom Boden oder vom Pferderücken aus – hat für mich vor allem damit zu tun, meine Pferde zu empowern. Das ist mein persönliches Ziel für jedes einzelne Pferd: Es soll die beste Version seiner selbst werden, Selbstbewusstsein entwickeln und von innen nach außen strahlen. Dafür muss das Pferd ermutigt werden, eigene Gedanken zu formen und wirklich an der Arbeit mit mir teilzuhaben, anstatt nur roboterhaft Befehle auszuführen.“
Der 18 Jahre alte Sultan du Coussoul ist ein Sohn von Alizées früherem Show-Pferd, Mistral du Coussoul.
Foto: Morgan Froment
Besonders das Shetlandpony ihrer Tochter sei ein Beleg dafür, dass Pferde übrigens auch mit der ausschließlichen Arbeit vom Boden aus zu einer tollen Form gelangen können, sagt Froment. „Hierfür ist es aber wichtig, an der eigenen Körperwahrnehmung des Pferdes zu arbeiten und ihm sozusagen das richtige Werkzeug an die Hand zu geben. Und das funktioniert natürlich anders, wenn man das Pferd nur vom Boden aus, aber nicht im Sattel unterstützen kann.“
Der Mensch
Um echte Freiheit gemeinsam mit dem Pferd zu erreichen, müsse aber zu allererst der Mensch an sich arbeiten, betont die Expertin. Zunächst einmal müsse dieser nämlich sein Pferd so gut einschätzen können, dass er „die richtigen Fragen stelle und die richtigen Antworten“ finde. Dazu gehöre auch, objektive Fragen zu stellen und nicht nur solche, die zu den eigenen Erwartungen und Wünschen passen: „Ist überhaupt schon der richtige Moment gekommen, um mein Pferd gebisslos zu reiten? Ist es physisch und mental bereits dafür, oder wird es sich in seinem Körper völlig verloren fühlen?“ Außerdem seien reiterliche Grundlagen wie korrekter Sitz und Hilfengebung elementar. „Denn nur, wenn diese Basics stimmen, kann es gelingen, den eigenen Körper zu nutzen, ohne das Pferd zu stören, und so auf Dauer immer mehr äußerliche Hilfestellungen, also auch Zubehör wie Sattel und Trense, zu entfernen.“ Auch ein sehr gutes eigenes Gleichgewicht sei entscheidend. Aber der Schritt Nummer 1 und absoluter Schlüsselfaktor bleibe immer, das Pferd möglichst gut zu kennen und zu verstehen.
Das Team
Dies sei wohl das wichtigste Element, um zu echter Freiheit beim Reiten zu finden, sagt Froment: die Verbindung zwischen Mensch und Pferd; das Verständnis füreinander. Um ihre Pferde bestmöglich zu verstehen, setzt die Ausbilderin auf Massagen und Stretchingübungen für die Pferde vor und nach jeder Trainingseinheit. „Das verlangt meinem Team und mir viel Zeit ab, aber so lerne ich meine Pferde, ihren Körper und ihre Emotionen wirklich kennen. Außerdem ist es unsere Art, den Pferden zu vermitteln, dass wir sie nicht ‚benutzen‘, sondern ihnen dabei helfen wollen, die beste Version ihrer selbst zu werden.“
Selbst höchste Lektionen gelingen Sultan und Alizée ohne Gebiss. Das A und O hierfür sei eine solide Grundausbildung, sagt die Französin.
Foto: Morgan Froment
„Das ist mein persönliches Ziel für jedes einzelne Pferd: Es soll die beste Version seiner selbst werden, Selbstbewusstsein entwickeln und von innen nach außen strahlen.“
Auf dem Weg zu größtmöglicher Freiheit beim Reiten gehe es immer darum, das Pferd zu unterstützen und ihm dabei zu helfen, sich des eigenen Körpers bewusst zu werden, betont die Französin. Dazu gehöre es auch, Fehler zu machen: „Das ist ganz normal im Laufe des Prozesses.“ Aber wirklich unverzichtbar sei es dabei, das Pferd so gut wie nur möglich zu kennen und einschätzen zu können. Denn es gebe nicht eine Lösung für alle Pferde. „Ich sehe beispielsweise zu viele Reiter, die ihre Pferde mit Halsring reiten, während sich das Pferd offensichtlich unwohl fühlt, weil es mit dem eigenen Körper nicht zurechtkommt“, sagt sie. Echtes „Hinhören“ und Hinterfragen sei also wichtig, um sich Schritt für Schritt voranzuarbeiten.
Überhaupt sei es das, worauf es immer ankommt, sagt Alizée Froment: „Zeit. Verständnis. Sich selbst infrage zu stellen. Vertrauen. Respekt. Liebe. Und: Empathie.“
Expertin
Erfolge bis zum Grand Prix und ehemalige Nationaltrainerin der französischen Pony-Equipe: Alizée Froment ist im Dressurviereck zu Hause. Vor allem aber sorgt sie seit vielen Jahren mit ihren Show-Auftritten für Furore. Mit ihrem Hengst Mistral du Coussoul zeigte sie höchste Lektionen und Freiarbeit ohne Sattel und Trense. Mit meist nicht mehr Equipment als einem Halsring begeisterte sie das Publikum in riesigen Arenen. Mittlerweile bewältigt Alizée ihre Showauftritte vor allem mit Sultan du Coussoul, ihrem weißen P.R.E.-Wallach. Ihre harmonischen Vorstellungen machen Alizée zu einem Vorbild für viele ihrer Bewunderer.
Foto: Morgan Froment
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