Marathon zu Pferd

1. März, 2024 | Ausgabe I/2024, Das Pferd., Das Pferd. [I/2024]

Distanzreiten, auch bekannt als „Marathon zu Pferd“, ist eng mit dem arabischen Pferd verbunden. ekor hat mit Lisa Weißenberger gesprochen, die sich mit ihrem Podcast „100 Meilen – Ausreiten als Pferdesport“ für den Sport in Deutschland stark macht.

Autorin: Kim Henneking

Wer bei der Minutenwertung gleichzeitig ankommt, landet auf demselben Platz. Symbolisch reiten Distanzreiter Hand in Hand ins Ziel, wie hier Uschi Martin und Lisa Weißenberger.
Foto: Fotowelten Annika Kiefer

„Es gibt immer diesen einen Punkt bei jedem Ritt, da hört man auf, reiten zu müssen und verschmilzt mit seinem Pferd.“

Gemeinsam mit ihrer Stute Vilma hat Lisa Weißenberger den Distanzsport entdeckt. Als Shagya-Araber hat Vilma besonders Spaß am Laufen.
Foto: Privat

Distanzreiten ist in Deutschland ein vergleichsweise unbekannter Reitsport, hat aber besonders auf internationaler Ebene eine große Community. Laut dem Verein Deutscher Distanzreiter und -fahrer (VDD) hat der Equitana-Gründer Wolf Kröber 1969 den ersten Distanzritt in Deutschland über 50 Kilometer organisiert; 1976 wurde dann der Verein gegründet. Das Besondere am Distanzsport: Zwar eignen sich besonders vollblütige Pferde dafür, doch alle Pferderassen sind willkommen und sowohl Reiter als auch Kutschfahrer können daran teilnehmen.

Lisa Weißenberger ist eher zufällig auf das Distanzreiten gestoßen. Ihre Araberstute Vilma hat sie auf den Weg dorthin geführt. „Ich habe so viel mit ihr gemacht“, erinnert sich Weißenberger, die ihrem Pferd Dressur, Springen, Ausreiten und sogar eine Rennbahn bieten konnte. „Nach eineinhalb Stunden Training hat sie mich immer angeguckt, nach dem Motto: Was machen wir jetzt?“ Schon fast verzweifelt habe sie nach Möglichkeiten gesucht, ihr Pferd auszulasten und zufriedenzustellen. „Ich hatte den Distanzsport nicht auf dem Schirm. Ich habe einfach „Marathon zu Pferd“ gegoogelt, weil ich dachte, viel Laufen könnte helfen.“ Als die Reiterin einmal Distanzluft geschnuppert hatte, war sie nicht mehr zu halten. Es folgte schnell ein Anhängerführerschein und ein Distanzreitseminar. „Ich habe mein Pferd noch nie so glücklich gesehen. Sie hatte ein Leuchten in den Augen wie ein Kind an Weihnachten“, sagt die 28-Jährige.

Königsdisziplin über 160 Kilometer

Im Distanzsport wird zwischen kurzen (41 bis 60 km), mittleren (61 bis 80 km) und langen Distanzen (81 bis 160 km) unterschieden. Einführungswettbewerbe gibt es ab 25 km. Ein Unterschied zu anderen Reitsportarten: Vor, während und nach dem Ritt werden die Pferde von Tierärzten untersucht. Wenn sie nicht fit genug für die geforderte Leistung sind, können sie von der Teilnahme sowie im Anschluss von der Platzierung ausgeschlossen und für einen Zeitraum für weitere Ritte gesperrt werden. Ausschlaggebend für die Bewertung sind unter anderem ein ruhiger Pulsschlag und ein klares Gangbild.

Ein Distanzritt ist in mehrere Streckenabschnitte unterteilt. Dazwischen erhalten Pferd und Reiter eine Pause. Trosser unterstützen beide von Start bis Ziel.
Foto: Privat

„Ich habe angefangen, unser Training zu tracken und war fast schockiert, dass meine normale Ausreitrunde, diese typische Stunde, nur fünf bis sieben Kilometer lang ist, ganz selten mal zehn Kilometer“, erinnert sich Weißenberger an die Zeit vor dem Distanzreiten. Im Distanzsport habe sie dann festgestellt, dass ihre Stute erst ab 50 Kilometern richtig warmläuft. „Es gibt immer diesen einen Punkt bei jedem Ritt, da hört man auf, reiten zu müssen und verschmilzt mit seinem Pferd.“ Im Gegensatz zum kontrollierten Reiten in der Dressur fänden Reiter und Pferd auf langen Strecken in eine ­natürliche Form der Bewegung und ihren eigenen Rhythmus. „Du hörst auf, darüber nachzudenken und spürst nur noch“, sagt sie. „Das ist wie eine Droge. Für dieses Gefühl möchte ich diesen Sport machen.“

24 Stunden mit dem Pferd

Auch das Wettkampfwochenende selbst sei ein großartiges Erlebnis. Denn um an einem Distanzritt teilzunehmen, müssen die Teams einen Tag vorher anreisen. Dann schlafen die Pferde meist direkt auf der Wiese neben dem Auto oder Zelt. Lisa Weißenberger schläft gerne im Pferdeanhänger mit Blick auf ihr Pferd. „Das ist wie ein kleines Camping-Abenteuer“, sagt sie. 24 Stunden mit dem Pferd zu verbringen, schweiße Mensch und Pferd als Team zusammen. Zu einem Wettkampfteam gehören darüber hinaus auch die Trosser, die Reiter und Pferd sowohl am Start- und Zielpunkt als auch auf der Strecke unterstützen.

Bis es so weit ist, muss das Pferd auf diese außerordentliche sportliche Leistung vorbereitet werden. Neben Kondition, Ausdauer und Geschwindigkeit stehe die Belastbarkeit des Bewegungsapparats an erster Stelle, sagt Weißenberger. „Wir reiten auf verschiedenen Böden in hohem Tempo und belasten die Pferde sehr lange, teilweise bis zu 12 Stunden“, sagt die Distanzreiterin. Damit der Körper nicht zu früh zu stark beansprucht wird und durch die Dauerbelastung verschleißt, müsse das Pferd schrittweise daran gewöhnt werden. Deshalb starte man zunächst mit kürzeren und langsameren Distanzritten und nehme erst später an längeren Ritten auf Zeit teil. Dementsprechend beginne auch das Training mit langen Schrittausritten, die Stück für Stück durch Trab- und später Galoppeinheiten erweitert werden. Als Ausgleich und vor allem zur Stärkung des Bewegungsapparats könne das Ausdauertraining gut durch Dressur, Springen und Bodenarbeit erweitert werden. „Als Distanzreiter suche ich überall den Trainingsreiz und gucke, dass mein Pferd Spaß hat“, sagt Weißenberger. Deshalb habe sie von der Zirzensik bis zur Fuchsjagd schon viele Dinge ausprobiert, um ihrem Pferd Abwechslung zu bieten.

Beim Distanzreiten führt der Reiter eine Checkkarte mit sich. Die muss am Start und Ziel sowie bei der Tierarztkontrolle vorgezeigt werden.
Foto: Privat

„Du hörst auf, darüber nachzudenken und spürst nur noch.“

Was Pferd und Reiter auf einem Distanzritt erleben, seien einmalige Erlebnisse. „Man wacht zusammen auf und reitet mit dem Pferd in den Tag hinein.“ Bergauf und bergab, über Asphalt, Schotter und Rasenwege und auch durch das größte Mistwetter sind die Teilnehmer unterwegs. „Es gibt so viele Umwelteinflüsse und Naturhindernisse. Ich bin schon neben Zügen geritten und an Kühen sowie Pferdeherden vorbei“, sagt Lisa Weißenberger. Einmal sei ihre Vilma „ohne mit der Wimper zu zucken“ über eine Autobahnbrücke galoppiert. In diesen Momenten spüre sie, wie viel Vertrauen ihr Pferd ihr entgegenbringt. Und jeder Distanzritt festige diese Beziehung durch neue Erfahrungen.

Vor, während und nach einem Distanzritt werden die Pferde von Tierärzten untersucht. Dabei wird unter anderem der Puls gemessen. Mit Wasser dürfen die Pferde abgekühlt werden.
Foto: Privat

„Ich habe mein Pferd noch nie so glücklich gesehen. Sie hatte ein Leuchten in den Augen wie ein Kind an Weihnachten.“

Um das Distanzreiten anderen Reitern näherzubringen, hat Lisa Weißenberger die Aktion „Plan D“ ins Leben gerufen. Die „Distanz für Zuhause“ ist eine wöchentliche Challenge für Reiter, um mehr Strecke mit ihrem Pferd zurückzulegen. Statt 160 Kilometer auf einen Schlag zu reiten, haben sie acht Wochen Zeit, um mehrere Ritte von mindestens zehn Kilometern zu sammeln. „Ich habe mich gefragt: Was ist es eigentlich, das dieses Distanzreiten so einzigartig macht? Und dann ist mir aufgefallen, dass auf jedem Ritt irgendetwas passiert, was man vorher noch nicht erlebt hat.“ Für diese Erfahrung möchte sie auch andere Pferdemenschen begeistern. Aus demselben Grund hat sie auch gemeinsam mit ihrer Freundin Jana Friedrichs den Podcast „100 Meilen – Ausreiten als Pferdesport“ ins Leben gerufen. „Selbst wenn man nicht an einem Wettkampf teilnehmen will, kann man so viele tolle Sachen durch das Training lernen, denn es steckt viel Wissen im Distanzreiten“, sagt Lisa Weißenberger. Sie wünscht sich, dass mehr Pferdemenschen aus ihrer Reitdisziplin-Bubble heraustreten, andere Sportarten kennenlernen und in den Genuss längerer Ausritte kommen.