Namaste Pferdewelt

1. September, 2023 | Ausgabe II/2023, Der Mensch., Der Mensch. [II/2023]

Unsere Gastautorin Christina Heß von herzenspferd.de erzählt uns offen von ihrem persönlichen Aha-Moment, bei dem sie ihre Passion für die Kombination aus Reiten und Yoga entdeckt hat. Warum das vor allem Reitern zu mehr Leichtigkeit und Feingefühl im Sattel verhelfen kann und warum Leichtigkeit auch Schweiß kostet, erfahren wir auf einer Reise nach Island.

Autorin: Christina Heß

Durchatmen, Luft holen und die Zeit mit den Pferden bewusst genießen. Auch das macht die Pferd-Mensch-Beziehung aus.
Foto: Helen Simkins

Leichtigkeit mit dem Pferd. Je dringender wir sie wollen, desto weiter ist sie entfernt. Wir erinnern uns wehmütig an die Zeit als Kind im Stall, an warme Ponynasen und Sonne im Gesicht, ohne eine einzige Sorge im Bauch. Und dann sind wir plötzlich erwachsen, steigen nach einem langen Arbeitstag vom Pferd, den grauen Nieselregen im Gesicht, nichts hat geklappt „wie es soll“ und wir fragen uns: Wo ist eigentlich diese Leichtigkeit hin und wie bekommen wir sie zurück?

Kann es sein, dass wir sie verloren haben, als wir mehr darüber gelernt haben, wie ein Pferd gesunderhaltend geritten wird und uns jetzt ständig darum Gedanken machen? Oder haben wir sie verloren, als wir anfingen uns immer mehr mit den Reitern auf Social Media zu vergleichen, bei denen einfach immer alles zu gelingen scheint? Oder aber haben wir sie mit jedem Jahr, in dem wir älter wurden und in dem wir es wieder nicht geschafft haben, mehr Sport zu machen, mehr Zeit für uns zu haben und etwas weniger am Schreibtisch zu sitzen, verloren?

Eins steht fest: Auch Leichtigkeit braucht Arbeit.

Das klingt zunächst kontraproduktiv, trifft aber – ja, das ist leider die Wahrheit – für die meisten Menschen zu. Mit steigendem Alter, Wissen und Verantwortung kann uns schnell die Unbeschwertheit im Austausch gegen eine „Verkopftheit“ verloren gehen. Ich sehe es als unsere Aufgabe an, diese wieder in unser Leben und vor allem das Zusammensein mit unserem Pferd zurückzuholen. Denn Leichtigkeit im Umgang mit dem Pferd und auch beim Reiten fängt bei uns selbst an – mit unserer inneren Einstellung, unserer mentalen und körperlichen Balance.

Sind wir gestresst oder haben Angst, finden wir keine Leichtigkeit, sondern verzetteln uns in Gefühle wie Anspannung. Sind wir zudem auch körperlich verspannt und haben wenig Kondition, können wir nicht locker auf dem Pferd sitzen. Dann sind unsere Ansprüche an uns und unser Pferd riesengroß, vermutlich weil wir alles richtig machen wollen, kommen aber aus dem Denken nicht mehr ins Fühlen. Leichtigkeit ist also gar nicht so leicht.
Wie aber finden wir diese Leichtigkeit, das Intuitive und das Fühlen wieder? Denn wir wollen natürlich weder Fachwissen missen noch verantwortungslos mit unserem Pferd umgehen – und jünger werden wir leider auch nicht mehr.

Ich selbst fand die Antwort auf diese Fragen vor 10 Jahren in Island. Das lag vermutlich weniger an der spirituellen Erde als an meiner Trainerin Hlín Mainka Jóhannesdóttir im Skagafjord. Denn hier hatte ich meinen ersten Berührungspunkt mit Yoga für Reiter. Für mich ein wahres Aha-Erlebnis! Endlich wurde beim Reitunterricht nicht mehr ausschließlich der Fokus auf das Pferd gesetzt, sondern auch auf mich und im Speziellen meine mentale und körperliche Verfassung – die zu dieser Zeit definitiv ausbaufähig war.
Das regelmäßige Yoga verbesserte nicht nur meine Kraft, Flexibilität und Mobilität, sondern half mir auch in stressigen Situationen ruhiger zu bleiben, das Gedankenkarussel zu stoppen und auf dem Pferd mehr zu fühlen und weniger zu (über)denken.

Foto: Gígja Einarsdóttir

Gerade bei Gangpferden wie den Isländern braucht es viel Gefühl, um körperliche und reiterliche Leichtigkeit zu erreichen. Der Tölt ist ein Balanceakt zwischen Reiter und Pferd. Ist einer von beiden aus dem Gleichgewicht, wird ein harmonischer, taktklarer und für das Pferd gesunderhaltender Tölt unmöglich. Und das gilt nicht nur für Isländer und den Tölt, sondern für alle Pferderassen und Reitweisen – bei Gangpferden fallen kleine Fehler nur meist deutlicher auf, weil dann der Takt offensichtlich verloren geht.

„Sind unsere Ansprüche an uns und unser Pferd riesengroß, weil wir alles richtig machen wollen, kommen wir aus dem Denken nicht mehr ins Fühlen.“

Warum also Yoga und Reiten?

Es bietet im Vergleich zu anderen Sportarten den Vorteil, dass es speziell die tiefe Rumpfmuskulatur bei uns Menschen stärkt, die für eine gesunde Körperhaltung verantwortlich ist. Gleichzeitig werden die großen Muskelgruppen, wie Gesäß- und Beinmuskulatur gedehnt, die oft durch alltägliche Beanspruchung verkürzt sind. Eine gute Körperhaltung, Koordination und Mobilität sind für die Leichtigkeit beim Reiten und die feine Hilfengebung unabdingbar, da eine klare Verbindung zwischen dem Sitz des Reiters und seiner Einwirkung auf das Pferd besteht. Es kann gezielt an typischen Sitzfehlern wie beispielsweise dem Stuhlsitz, hochgezogenen Knien oder Abknicken in der Taille gearbeitet werden – und das ganz, ohne dabei das Pferd zu belasten.
In der Yogapraxis können die Übungen genauso zusammengestellt werden, wie wir sie für unsere individuellen Voraussetzungen und Probleme brauchen. Dabei hilft uns ein geschulteres Körpergefühl und die gestärkte Muskulatur, um feiner auf das Pferd einwirken zu können. Nicht zuletzt unterstützt Yoga – und sei es zu Anfang auch erstmal nur während der Übungsstunde – auch dabei unser inneres Gleichgewicht zu finden.

 

Die Hüfte – der zentrale Dreh- und Angelpunkt

Ein zentraler Punkt für Leichtigkeit beim Reiten ist ein ausbalancierter Sitz. Hierfür ist eine gute Kontrolle der Hüfte sehr wichtig, da diese die Hauptkontaktfläche zum Pferd darstellt. Die von der Hüfte ausgehende Muskulatur sollte deshalb mobil sein und vor allem auch die untere Bauchmuskulatur muss über genügend Stärke verfügen, damit der Reiter gezielt mit dem Sitz einwirken kann.
Viele Yogaübungen beginnen passenderweise in der Hüfte und man lernt, diese gezielt zu bewegen. Die regelmäßige Praxis lockert die oft etwas steife Muskulatur, die von der Hüfte ausgeht. Dadurch werden Beine und Wirbelsäule beweglicher und bekommen gleichzeitig auch ausreichend Kraft und Stabilität.

 

Die richtige Körperspannung

Wir Reiter kennen die Anforderung, ohne große Anstrengung gerade über dem Pferd sitzen zu sollen und trotzdem mit dem unteren Bauchbereich mit den Bewegungen des Pferdes harmonisch mitzuschwingen. Hierfür muss jedoch nicht nur die Hüfte beweglich sein, sondern es braucht eine gezielt gestärkte Muskulatur im unteren Bauch, den Flanken und im Rücken.
Die Yogapraxis hilft die tiefliegende Rumpfmuskulatur zu stärken und man lernt, diese gezielt einzusetzen – was wiederum für die Hilfengebung beim Reiten essentiell ist. Es entsteht ein verbessertes Gleichgewicht zwischen den Muskelgruppen im Rücken und Bauchbereich, der rechten und linken Seite sowie dem Ober- und Unterkörper.

 

Auf der Überholspur zum guten Sitz

Jedes Jahr begleite ich nun Reisegruppen zu meiner Trainerin nach Island. Und ich bin immer wieder begeistert, wie sehr sich jeder einzelne dieser Reiter in den Wochen mit Reiten und Yoga verbessert. In diesen Wochen findet anteilig weniger Reitunterricht statt – und trotzdem sind die Teilnehmenden auf der absoluten Überholspur zum guten Sitz und machen mehr Fortschritte als die Reiter in den Wochen ohne Yoga. Das verbesserte Körpergefühl, die Mobilität und die innere Ausgeglichenheit spiegeln sich schon nach wenigen Tagen regelmäßiger Yoga-Praxis im Sattel wieder. Der Stuhlsitz ist auf einmal weg, die Beine liegen ruhiger, die Koordination der Hilfen funktioniert besser und auch Hinweise der Reitlehrerin können bewusster und genauer umgesetzt werden.

Und das ist nicht alles: Selbst Monate nach der Reise kommen regelmäßig Rückmeldungen von den Teilnehmenden darüber, wie sehr Yoga nicht nur ihr Reiten und ihre Beziehung zum Pferd, sondern auch andere Aspekte ihres Lebens positiv beeinflusst hat. Denn unsere einzelnen Lebensbereiche und ihre Auswirkungen auf unsere körperliche und mentale Balance und unsere Leichtigkeit lassen sich nicht so einfach trennen, wie wir es oft glauben.

Sind wir gestresst oder haben Angst, finden wir keine Leichtigkeit, sondern verzetteln uns in negativen Gefühlen. Yoga kann helfen das innere Gleichgewicht wieder herzustellen und den Körper zu stärken.
Foto: Helen Simkins

Atme mal tief durch!

Ein zentraler Punkt beim Erreichen von mehr Leichtigkeit beim Reiten ist die Atmung. Stress und Anspannung in unserem Alltag führen oft zu flacher Atmung, welche wiederum zu Verspannungen und Sitzproblemen führen kann. Zudem reagieren Pferde sehr sensibel auf die Atmung des Reiters und können durch sie sowohl gestresst als auch beruhigt werden. Eine ruhige und bewusste Atmung des Reiters ist daher sehr wichtig und kann gezielt durch Yogaübungen gefördert werden. Besonders die tiefe Atmung wird dabei verbessert und das mentale Gleichgewicht gefestigt.
Dazu gehören auch ein verbesserter Fokus und die Konzentration auf sich selbst und das Wesentliche. Beim Yoga geht es nicht darum, sich mit anderen zu vergleichen, sondern mit Achtsamkeit, Selbstliebe und Nachsicht an den eigenen Baustellen zu arbeiten – ein Punkt, den wir genau so auch in unsere Arbeit mit dem Pferd mitnehmen sollten.

Denn am Ende bedeutet Leichtigkeit zwar Arbeit an uns selbst, aber auch die Fähigkeit mit dem glücklich zu sein, was wir bis dahin erreicht haben und wo wir stehen. Die ewige Suche nach ständiger Perfektion führt nicht zu mehr Leichtigkeit, sondern reduziert sie. Mein Rat: Nehmt euch ab und an die Zeit eure Nase ins warme Pferdefell zu stecken, die Sonne zu genießen und euch darüber zu freuen, die Partnerschaft eines so unglaublichen Geschöpfes genießen zu dürfen. Seid leicht und im Reinen mit euch selbst in diesen besonderen Momenten.

„Denn am Ende bedeutet Leichtigkeit zwar Arbeit an uns selbst, aber auch die Fähigkeit mit dem glücklich zu sein, wo wir stehen und was wir bis dahin erreicht haben.“

Christina Heß teilt auf herzenspferd.de seit vielen Jahren ihr Wissen rund um pferdefreundliches Reiten und Pferdetraining, immer einfach und gut verständlich erklärt in Blogbeiträgen und Videos. Besonders am Herzen liegen ihr dabei der ausbalancierte Sitz, die feine Hilfengebung und deren Verbesserung durch Yoga. Jedes Jahr bietet sie dazu auch Reiturlaube bei ihren Partnern in Island und Sizilien an. Foto: Helen Simkins
herzenspferd.de