Mut-MACH-Geschichten: „Der Weg geht immer nach vorn!“

1. September, 2024 | Ausgabe II/2024, Der Mensch., Der Mensch. [II/2024]

Mut hat viele Gesichter – und zwar mindestens so viele wie die der ekor-­Leser. Denn jeder von uns hat sich wohl schon einmal im Leben überwunden, all seinen Mut zusammengenommen und echten Mut bewiesen.
Mut bedeutet, ängstlich zu sein, und sich trotzdem für einen neuen Schritt zu entscheiden. Manch einen kostet es Mut, das Gerede anderer Menschen abzuschütteln, für den nächsten ist es ein echter Kraftakt, den Sprung ins Ungewisse zu wagen, und für viele von uns kann Mut auch heißen, die altbekannten Wege zu verlassen und bereit zu sein für Neues.

 

Autorin: Kristina Sehr

Foto: Adobe Stock

Wir haben ekor-Leserinnen nach ihren ganz persönlichen Mut-(Mach-)Geschichten gefragt. Das Ergebnis sind drei ganz unterschiedliche Geschichten, die doch eines eint: die Erkenntnis, dass Mut belohnt wird.

Mut begegnet uns an verschiedensten Stellen im Alltag mit unseren Pferden. Mal ist er leise, mal laut, mal groß, mal klein – aber fast immer wird er belohnt.
Foto: Adobe Stock

Michelle Schwämmlein & Bonita:
Ein Foto reichte, um Bonita zu kaufen

Foto: Jasmin Wiedemann

Ein „Blind Date“ mit einem Pferd? Dass genau das zu einer lebenslangen Freundschaft führen kann, zeigt die Geschichte von Michelle Schwämmlein. Mit ihrer Stute Bonita hat sie ihr Traumpferd gefunden – und das trotz eines ungewöhnlichen Starts.

„Ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Und dabei habe ich eine tolle Partnerin gefunden.“ Das sagt Michelle Schwämmlein heute über ihre Stute Bonita. Dabei begann der gemeinsame Weg des Duos alles andere als alltäglich. Als Schwämmleins Ponystute ins Rentenalter kam, begann die Reiterin, sich über andere Pferderassen zu informieren. Prompt verliebte sie sich in die Eleganz der Pura Raza Española (P.R.E.) – doch wo sollte sie ein solches Pferd in Bayern, wo es nur wenige spanische Gestüte gibt, finden?

Ein regional ansässiger Pferdehändler berichtete schließlich davon, dass er einen Spanier in der Nähe von Málaga kenne, der spanische Pferde nach Deutschland vermittle. „Also habe ich ihm erzählt, was mir wichtig ist: Ich war auf der Suche nach einem zuverlässigen Freizeitpartner“, sagt Michelle Schwämmlein. Prompt bekam sie eine Auswahl von rund zehn Pferden samt Fotos und Videos zugeschickt. Aber kann man ein Pferd aussuchen, ohne es wirklich kennenzulernen, anzufassen oder selbst im Sattel zu sitzen? Die Bayerin sagt: ja. „Ich habe ein Foto von Bonita gesehen und gesagt: Das ist sie.“

Allerdings musste Schwämmlein sich damals entscheiden: Wollte sie lieber mit dem Händler gemeinsam nach Spanien fliegen und gemeinsam Pferde ausprobieren? Oder wollte sie direkt die Chance des nächsten geplanten Transports ergreifen und schon in drei Tagen ihre Bonita in Deutschland begrüßen? Ohne der Stute je selbst in die Augen geschaut zu haben, entschied sich die junge Frau, es zu wagen. Drei Tage später hielt sie ihre dreieinhalbjährige Falbstute am Strick – „ein echtes Überraschungsei!“

Der erste Eindruck stimmte sofort: Bonita hatte freundliche Augen, war etwas größer als gedacht, aber schien recht unbeeindruckt vom Transport und der neuen Umgebung. „Mein Bauchgefühl stimmte einfach, und unsere erste Begegnung bestätigte das sofort“, sagt ihre Besitzerin heute rückblickend. Dabei habe sie auch Kritik einstecken müssen: Viele Menschen in ihrem Umfeld befürchteten, dass sich die damals 18-Jährige von der Schönheit der Stute habe blenden lassen und nun doch das falsche Pferd gekauft habe. „Aber das war mir schon immer egal“, sagt sie. „Mir ging es immer nur darum, mit meinem Pferd unseren ganz eigenen Weg zu finden. Einen Weg, der zu uns passt und mich glücklich macht.“

Monatelang ging sie damals mit Bonita spazieren, oft war auch die ältere Ponystute Linchen im Schlepptau dabei. „Linchen hat Bonita rückblickend viel beigebracht und dabei geholfen, ihr Vertrauen aufzubauen“, sagt Michelle Schwämmlein. Doch ein Rückschlag wartete noch auf das neu geformte Team: Es stellte sich heraus, dass Bonita zwei Chips, also winzige Knochenabsplitterungen, nahe des Fesselträgers im Vorderbein hatte. Diese wurden in einer Operation entfernt. „Auch davon haben mir viele Menschen abgeraten. Aber ich wusste: Wenn ich diesen Weg mit meinem Pferd gehe, wird Bonita mir alles zurückgeben.“ Und so entpuppte sich der vermeintliche Rückschlag als entscheidender Meilenstein – denn mit ihrer Rückkehr aus der Pferdeklinik in den heimischen Stall schien Bonita endgültig aufzutauen. „Es war, als hätte sie verstanden, dass sie nun endgültig bei uns zu Hause ist.“

Heute ist Bonita elf Jahre alt – und sie und ihre Besitzerin sind ein eng verbundenes Team. Leidenschaftlich widmen sich die beiden vor allem der Freiarbeit und haben ihre Kommunikation über die Jahre verfeinert. „Wir kennen einander in- und auswendig“, sagt Schwämmlein. „Es ist, als könne ich ihr jeden Gedanken ablesen.“

Und so hat sich die mutige Entscheidung als echter Glücksgriff entpuppt. „Unser gemeinsamer Weg zeigt, dass man auf sein Herz hören sollte“, sagt Michelle Schwämmlein. „Wir alle finden unseren Weg, wenn wir auf das eigene Gefühl vertrauen. Mich hat dieses Vertrauen belohnt: Ich habe nach meiner Ponystute mein zweites Herzenspferd gefunden: Bonita.“

Sonja Schwarz & ein Offenstall in Eigenregie:
Verantwortung bei Wind und Wetter

Foto: privat

Mut muss nicht immer an eine einzige Entscheidung geknüpft sein. Oft durchzieht er auch ein ganzes Leben – so wie im Fall von Sonja Schwarz, die mit ihrer Familie den Traum vom eigenen Stall lebt.

Es ist ein Wunsch, den wohl jedes „Pferdemädchen“ irgendwann einmal tief in sich spürt: die Pferde im eigenen Stall halten, ganz nach den eigenen Ideen und Vorstellungen. Seit über 30 Jahren hält Sonja Schwarz‘ Familie Pferde – und das fast während der gesamten Zeit im eigenen Offenstall.

Alles begann mit der Haflingerstute ihrer Schwester, erinnert sich Sonja Schwarz. Die Stute war tragend und hatte ein Fohlen bei Fuß. Aber die Haltung in den meisten Pensionsställen war nicht optimal; zumindest nachts standen die Pferde in ihren Boxen. Und so keimte zum ersten Mal die Idee auf, einen eigenen kleinen Stall zu betreiben. Nur wenig später wurde der Gedanke Realität.
Das alles ist rund drei Jahrzehnte her; Sonja Schwarz‘ eigene Pferde sind in den Jahren 2022 und 2023 bereits verstorben, aber noch immer sind alle Familienmitglieder emotional mit dem Stall verbunden.
„Wenn man die Pferde in Eigenregie hält, ist man nie fertig mit der Arbeit“, sagt sie. „Es gibt immer noch etwas zu tun oder zu verbessern. Und es gilt, auf jedes einzelne Pferd zu hören.“ Trotzdem habe der Offenstall in ihren Augen immer die optimalen Haltungsbedingungen geboten: 24 Stunden am Tag Weide und Raufutter, maximale Freiheit und viele Bewegungsmöglichkeiten für jedes Pferd, und das alles im Herdengefüge.

Drei bis vier Stunden am Tag seien immer nötig, um alle Pferde gut zu versorgen und den Stall instand zu halten, sagt Schwarz. „Diese Leidenschaft ist natürlich zeit- und kostenaufwendig. Und sie bedeutet eine große Verantwortung. Bei jedem Wind und Wetter, ob an Feiertagen oder am Wochenende: Es warten immer neue Aufgaben.“

Und so sei für die eigene Pferdehaltung nicht nur ein einziger kühner Moment nötig – sondern vielmehr der dauerhafte Mut, die Dinge immer wieder anzupacken und nicht aufzugeben. „Wir treffen große Entscheidungen immer im Familienrat. Das hilft, weil man dann die Rückendeckung vieler lieber Menschen hat“, sagt Sonja Schwarz. „Mein Rat? Natürlich bedeutet die Haltung in Eigenregie nicht nur ‚tüddeln und reiten‘, sondern auch viele Kompromisse, viel Arbeit und Anstrengung. Aber wenn für mich die Vorteile, also die ‚Pro-Argumente‘ einer Idee überwiegen, dann mache ich das.“ Wichtig sei vor allem, nach einer getroffenen Entscheidung nicht mehr zu hadern und sich die berüchtigte „Was wäre, wenn“-Frage zu stellen. Der Weg gehe nur nach vorn, sagt Sonja Schwarz – und auf keinem Weg scheine nur die Sonne: „Trotzdem lohnt Mut sich immer. Denn darum geht es doch im Leben: Man muss in allen Bereichen mutig sein – sonst verpasst man so vieles!“

Ingrid van Hees & Buddy:
Gebissloser Neuanfang nach dem Unglückstag

Foto: privat

Manchmal reicht ein einziger Tag aus, um ein Leben zu verändern. Ingrid van Hees und ihr Wallach Buddy haben genau das selbst erlebt. Doch mit der Unterstützung vieler Menschen und einer Portion Lebensmut kämpft sich Buddy zurück ins Leben.

Es war ein Nachmittag wie viele andere, als Buddy sich vor einigen Monaten mit seiner Reitbeteiligung auf den Weg zu einem Spaziergang machte. Seite an Seite gingen die beiden auf einer wenig befahrenen Waldstraße entlang, solche Spaziergänge an der Hand kennt und mag der Tinker-Mix-Wallach. Doch die Situation kippte, als eine Joggerin ohne zu zögern dicht an dem Braunen vorbeilief: Buddy erschrak und riss sich mitsamt seiner Trense los. Als er schließlich im Wald gefunden wurde, war schnell klar, dass etwas Verheerendes geschehen war: Bis auf einen halben Zentimeter hatte er sich – wohl bei einem Sturz oder durch ein unglückliches Hängenbleiben – die Zunge durchtrennt.
„So schnell wie nur möglich fuhren wir in die Pferdeklinik Leichlingen. Dort versuchte das Team alles, um die Zunge zu retten, doch nach einem Tag war klar, dass das nicht möglich war“, erinnert sich Buddys Besitzerin Ingrid van Hees. Die Tierärzte beratschlagten sich, es herrschte Unsicherheit: Würde Buddy noch ein pferdegerechtes Leben führen können, wenn ihm ein großer Teil seiner Zunge fehlt? „Der behandelnde Tierarzt telefonierte mit Kollegen, denn eine Zungenamputation wurde bislang wohl nicht oft bei Pferden durchgeführt. Aber schließlich war klar: Wir versuchen es.“

Große Zweifel plagten die langjährige Reiterin: War dies die richtige Entscheidung für Buddy? Würde er mit dem Fressen und dem ungewohnten Gefühl im Maul zurechtkommen? Doch sie habe echte „Mutmacher“ an der Seite gehabt, berichtet sie. Zum einen sei da der Tierarzt gewesen, der sich voller Zuversicht und Sorgfalt um das Pferd gekümmert habe. „Außerdem stand meine Reitbeteiligung Alex mir hilfreich zur Seite. Und auch unsere Stallbesitzerin hat mir immer Mut gemacht und tut es bis heute. Sie hat sofort gesagt: Das schaffen wir.“
Seit dem Eingriff fehlen Buddy rund zehn Zentimeter seiner Zunge. Zu Beginn sei die Gewöhnung an die neue Situation extrem hart gewesen, erinnern sich alle Beteiligten. „Er war ein Häufchen Elend. Dieses einst so lebensfrohe, schlaue Pferd war sichtlich überfordert mit der Situation. Ich glaube, ihn so zu erleben hat auch mich traumatisiert“, sagt van Hees. „Aber wir haben nicht aufgegeben.“

Mit der Zeit gewöhnte sich Buddy an die neuen Umstände: Er entwickelte eigene Fresstechniken. Während direkt nach der Operation nur die Aufnahme von Flüssigmash möglich war, kann der Wallach heute, rund ein halbes Jahr nach der Teil-Amputation, sogar wieder Gras und Heu fressen: „Natürlich fällt einiges auch wieder aus dem Maul heraus, aber es gelingt ihm. Er hat sich angewöhnt, das Futter über die Wangen nach oben in die Maulhöhle zu ziehen und kommt damit gut zurecht.“
Reiten ist nun nur noch gebisslos möglich – für Ingrid van Hees ist das aber kein Problem, obwohl die Umstellung vom konventionellen Dressurreiten hin zum Reiten mit Hackamore ganz schön herausfordernd ist: „Mir war von Anfang an klar, dass mir jede Veränderung recht ist, solange es dem Pferd dabei gut geht.“ Nach der Entscheidung, die Zunge teilweise zu amputieren, habe sie nachts wachgelegen und sich gefragt, ob dies der richtige Weg für ihr Pferd sei, sagt van Hees. „Ich hatte riesige Angst, falsch zu entscheiden. Ich befürchtete, dass ich das in Buddys Sinne bereuen würde. Aber der Mut hat sich gelohnt.“

Noch immer hat der Unfall einen Platz in den Köpfen von Ingrid van Hees und ihrem Buddy. Aber dieser Platz wird von Tag zu Tag kleiner. „Ich bin glücklich, dass ich auf die Zuversicht der Menschen um mich herum gehört habe“, sagt die Reiterin heute. „Buddy zeigt mir, dass es sich gelohnt hat. Dass er noch Freude am Leben hat und sich an die Veränderung gewöhnt. Und dass diese Entscheidung für ihn genau die richtige war.“