Glücklich auf getrennten Wegen

1. September, 2024 | Ausgabe II/2024, Der Mensch., Der Mensch. [II/2024]

Für viele Pferdemenschen ist das eigene Pferd die Erfüllung eines Lebenstraums. Doch für manche kann dieser Herzenswunsch unerwartet zu Belastung und Enttäuschung führen. ekor findet: Der Schritt zur Trennung braucht Mut und verdient mehr Respekt.

 

Autorin: Kim Henneking

Foto: Michaela Kuhlmann

Das erste eigene Pferd ist ein einschneidendes Ereignis im Leben eines jeden Pferdemenschen. Manche erhalten dieses wertvolle Geschenk schon als Kind und dürfen mit ihrem Freund auf vier Hufen gemeinsam wachsen. Andere träumen und sparen viele Jahre lang darauf und suchen sich ganz bewusst einen Partner fürs Leben aus. Doch manchmal kommt alles anders als erwartet. Die Gründe für eine Trennung vom eigenen Pferd oder gar dafür, das Reiten ganz aufzugeben, sind vielfältig. ekor hat mit drei Leserinnen über ihre Erfahrungen gesprochen.

Der Abschied vom eigenen Pferd fällt schwer. Besonders, wenn äußere Umstände einen zu dieser Entscheidung drängen.
Foto: Adobe Stock

Wenn die Leidenschaft nicht mehr tragbar ist

Für Marlene Friedrichs Entscheidung, sich von ihrem Pferd zu trennen, haben gleich drei Faktoren eine Rolle gespielt. Die 31-Jährige hat im Laufe ihres Lebens drei eigene Pferde gehabt. Ihre Ponystute Peggy hat sie vor zwei Jahren schweren Herzens abgegeben und hat damit das erste Mal seit 15 Jahren kein eigenes Pferd mehr.
Der endgültig ausschlaggebende Punkt für die Trennung seien die gestiegenen Kosten für Tierarztbehandlungen und Stallpension gewesen. Zu dieser alltäglichen Belastung seien immer wieder verletzungsbedingte Pausen ihrer Stute gekommen, die Marlene Friedrichs sportlichen Ambitionen einen Strich durch die Rechnung machten. Immer wieder habe sie das Training pausieren und ihr Pony von Neuem aufbauen müssen. „Das war super frustrierend.“ Dazu kam die Schwierigkeit, einen passenden Stall in der Nähe ihres Wohnorts zu finden, der auch den Bedürfnissen des Ponys entsprach.

„Manchmal gibt es halt Situationen, wo Besitzer und Pferd in andere Richtungen gucken“, sagt Marlene Friedrich traurig, aber überzeugt. Eine Entscheidung pro Pferd bedeutet für sie, dass man auch für eine Trennung bereit sein muss. Es sei nicht fair, etwas von seinem Pferd zu verlangen, das es nicht leisten kann. Und natürlich spüre das Pferd auch die Unzufriedenheit seines Menschen. „Vielleicht kann jemand anderes dem Pferd etwas ermöglichen, das ich nicht kann. Und das ist total in Ordnung.“ Bei den neuen Besitzern wohne die Stute jetzt in einem schönen Offenstall, den sie ­ihrer Stute nicht hätte bieten können. Marlene Friedrich selbst ist heute ohne eigenes Pferd wieder im Reitsport aktiv. Beide haben ihr Glück auf getrennten Wegen wiedergefunden.

 

Auf der Suche nach Gesundheit und Zufriedenheit

Die Haltungsbedingungen waren auch einer der vielen Gründe, weshalb Stefanie Spiegel sich von ihrer Farina getrennt hat. Vor einem Jahr hat sie sich von ihrem damals 18-jährigen Rheinländischen Warmblut verabschiedet. Die Entscheidung für die Abgabe hat sie eine lange Zeit im Voraus beschäftigt.

Viele Jahre lang sei Farina ein verlässliches Freizeitpferd gewesen. Springen, Dressur, Tagesritte, Bodenarbeit – die beiden hatten auf vielseitigen Wegen Spaß miteinander. Doch vor drei Jahren fingen die Probleme an. Farina begann, aufgrund von Herdenstress und dadurch bedingten Schlafmangel auf der Weide zu kollabieren und sich zu verletzen. Nach einem Stallwechsel ging es Farina eine Weile besser, bis die Probleme wieder von vorne begannen. Es folgte ein weiterer Stallwechsel, wo es ihr zunächst wieder besser ging. Dann entwickelte sie charakteruntypische Verhaltensauffälligkeiten: Panikattacken, Durchgehen, Headshaking, Abwehrreaktionen. „Farina hat mir ganz deutlich gezeigt, dass sie nicht mehr geritten werden will“, sagt Stefanie Spiegel.
Die Stute sei krank und unglücklich gewesen. Doch eine passende Haltung sei nicht zu finden gewesen. Zudem habe Stefanie Spiegel als Ärztin und Mutter nicht die Möglichkeit, sich intensiv um ein Pferd mit diesen speziellen Bedürfnissen zu kümmern. „Ich muss rationale Entscheidungen treffen. Ich bin mir meiner Verantwortung gegenüber meinem Pferd bewusst, aber ich habe auch gegenüber anderen Verantwortung.“

Um Farina einen glücklichen Ruhestand zu ermöglichen, entschied sich Stefanie Spiegel dazu, ein neues Zuhause für ihre geliebte Stute zu suchen. Sie habe eine Frau gefunden, die sich leidenschaftlich um Rentnerpferde kümmere und in dessen kleiner Stutengruppe sich Farina sehr wohlfühle. „Die Haltung ist besser als das, was ich ihr hätte bieten können“, sagt Stefanie Spiegel. Heute freut sie sich über regelmäßige Fotos von einer endlich zufriedenen Farina.

 

Eine Entscheidung aus Liebe

Bis ans Lebensende wollte Tina Meier ihren Fjordwallach Frosty begleiten. Als sie 2021 nach Schweden ausgewandert ist, stand für sie außer Frage, dass ihre zwei Fjordpferde sie begleiten – sie gehören zur Familie. Doch ein Jahr später musste sie eines von ihnen allein zurück nach Deutschland schicken.
„Die Pferdehaltung hier ist viel ursprünglicher. Das hat Vor- und Nachteile“, sagt Tina Meier. Ein großes Problem im Vergleich zu Deutschland sei die Qualität des Heus. Deshalb werde überwiegend Heulage gefüttert. Doch das habe sich für Frosty als Problem herausgestellt. Denn die Kombination aus neuem Futter und weniger Bewegung in der langen kalten und dunklen Jahreszeit in Schweden waren für das metabolisch schon vorgeprägte Fjordpferd eine zusätzliche Belastung. Darauf folgte eine zeit- und arbeitsintensive Phase, in der Tina Meier ihren Frosty von der Herde trennen musste, um seine Zeit auf der Weide zu minimieren.

„Die Psyche des Pferdes darf man dabei nicht vernachlässigen. Die anderen hatten Spaß auf der Weide und er stand ewig abgetrennt“, sagt sie. So ein Leben habe sie sich für ihr Pferd nicht gewünscht. Aus dieser Situation heraus entschied sie sich, Frosty nach 12 gemeinsamen Jahren abzugeben. „Das war Horror für mich und meine Tochter; es war echt schwierig. Aber wir wussten, es ist besser für das Pferd.“
Sie erinnerte sich an eine Bekannte. „Die hatte immer gesagt: Wenn du den mal abgibst, dann denk an mich.“ Aus Liebe zu Frosty und dem großen Wunsch, ihm weiterhin ein glückliches Pferdeleben zu ermöglichen, begann die Reise des Fjordpferdes zurück nach Deutschland, wo er bis heute bei einer Pferdetrainerin lebt, die Frosty wohldosiert in ihrer Ponyschule einsetzt. „Er hat immer noch seine Problematiken, aber die Haltung ist optimal. Ich hätte das hier nicht leisten können“, sagt Tina Meier.

Marlene Friedrich ist 31 Jahre alt und arbeitet als technische Zeichnerin. Davor war sie einige Jahre lang hauptberuflich Reitlehrerin. Sie ist ambitionierte Vielseitigkeitsreiterin. Von ihrem dritten eigenen Pferd hat sie sich vor zwei Jahren aus finanziellen Gründen getrennt und ist nun ohne eigenes Pferd glücklich.
Foto: privat

Stefanie Spiegel ist 48 Jahre alt und arbeitet als Ärztin. Reiten ist seit ihrer Kindheit Teil ihres Lebens. Ihr langjähriges Reitpferd hat sie vor einem Jahr abgegeben, um der Stute einen bestmöglichen Ruhestand zu ermöglichen.
Foto: privat

Tina Meier ist 50 Jahre alt und arbeitet für Equipreneur® als selbstständige
Copywriterin und Unternehmensberaterin. 2021 ist sie mit ihrem Sohn und ihren zwei Pferden nach Schweden ausgewandert – ein lang gehegter Traum. Leider ist eines ihrer Pferde am neuen Wohnort nicht mit den Lebensbedingungen zurechtgekommen und musste krankheitsbedingt zurück nach Deutschland reisen.
Foto: privat

„Ich finde, es gehört ganz viel Mut dazu, bei mir selbst anzufangen und zu hinterfragen, ob ich wirklich das beste Zuhause für mein Pferd bin.“

Die Trennung ist der Weg zu einer neuen Chance


Oft sehen sich Menschen wie diese drei Frauen nach Verkündung ihrer Entscheidung, ein Pferd abzugeben, mit scharfer Kritik konfrontiert. Ob sie sich vor dem Kauf nicht ordentlich informiert hätten? Waren sie überhaupt dafür geeignet, sich um ein Pferd zu kümmern? Sind sie auch ganz sicher, dass das Pferd in die richtigen Hände gelangt ist? „Das ist so ein deutsches Phänomen, seinen Senf dazuzugeben, obwohl man nicht gefragt wird“, sagt die Wahlschwedin Tina Meier. Sie habe ihre Entscheidung sehr gut abgewägt und nicht eine Sekunde bereut. Sie würde sich immer wieder pro Pferd entscheiden. Heute habe sie mit dem Thema abgeschlossen.

„Viele Pferdebesitzer denken von sich, dass nur sie selbst dem Pferd das Beste geben könnten. Das finde ich anmaßend“, sagt Tina Meier. Sie habe ein gutes Zuhause für ihr Pferd gefunden und wisse, dass die neue Besitzerin sich gut kümmere und die richtigen Entscheidungen treffe. Das sieht auch Marlene Friedrich so: „Ich finde, es gehört ganz viel Mut dazu, bei mir selbst anzufangen und zu hinterfragen, ob ich wirklich das beste Zuhause für mein Pferd bin.“

Dem stimmt auch Stefanie Spiegel zu und gibt zu bedenken: „Ich bin kein Pferdeprofi, ich bin Laie und ich habe es so gut gemacht, wie ich konnte.“ Sie habe viel Zeit, Geld und Geduld in ihr Pferd investiert und es dennoch nicht verkauft, sondern an einen ausgewählten Menschen verschenkt. Für diese Entscheidung sei sie mit Vorwürfen konfrontiert worden, ist aber überzeugt, pro Pferd gehandelt zu haben. „Ich habe mein Pferd nicht eingeschläfert oder zum Schlachter gegeben. Ein Händler wäre auch keine Option gewesen, dann hätte ich nicht gewusst, was mit ihr passiert. Ich finde, wenn man ein Pferd in eine verantwortungsvolle Haltung gibt, dann ist das auch Kümmern.“

Mehr Mut zur Ehrlichkeit wünscht sich Marlene Friedrich auch für diesen Prozess, wenn es darum geht, öffentlich über Probleme mit seinem Pferd zu sprechen. Unfälle, Verletzungen, Krankheiten, Probleme im Umgang und beim Reiten – das alles sind Themen, für die sie sich mehr Verständnis und weniger Anfeindung in den Sozialen Medien wünscht. Aus ihrer eigenen Community wisse sie, dass sich viele Reiter so eine Offenheit wünschen.
Ist die Entscheidung für eine Trennung gefallen, kann ein Verkauf für alle Beteiligten die Chance auf einen Neuanfang sein – für das Pferd, den alten und den neuen Besitzer. Diesen Gedanken haben die drei ekor-Leserinnen miteinander gemein, auch wenn ihre Gründe für die Trennung vom eigenen Pferd verschieden sind. Sie haben sich lange Zeit Gedanken über die Abgabe gemacht und dann eine Lösung gefunden, die sowohl ihnen als auch dem Pferd zugutekommt. Denn wenn alles passt, können Mensch und Pferd in ihrem neuen Lebensabschnitt glücklicher sein.

KOMMENTAR

ekor urteilt nicht und denkt nicht in Schubladen. Das ist unser Anspruch in der ekor-Redaktion. Denn es ist uns ein Herzensanliegen, die ganze Vielfalt der Pferdewelt zu zeigen und Raum für verschiedene Blickwinkel zu bieten. Widerspricht sich das nicht mit einem Kommentar? Wir finden: Zu einer Mut-Ausgabe gehört es auch, persönlich Stellung zu beziehen. Denn wenn sich die Pferdewelt pro Pferd weiterentwickeln will, müssen wir respektvoll miteinander in den Dialog treten.

Wie so viele Themen in der Pferdewelt ist auch die Trennung vom Pferd weder schwarz noch weiß. Über dieser Diskussion steht die Verantwortung für das Tier. Tiere sind uns Menschen ausgeliefert. Sie können nicht entscheiden, wo, wie und mit wem sie leben. In ihrem Sinne ist es deshalb unerlässlich, sich vor einem Kauf über ihre Bedürfnisse zu informieren und sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, ob man diesen gerecht werden kann. Aber auch wenn man sich dieser Verantwortung bewusst ist, kann es zur Trennung kommen.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Krankheit und finanzielle Probleme können von heute auf morgen das Leben auf den Kopf stellen. Aber Pferde werden auch verkauft, wenn sich Besitzer überfordert fühlen oder den Spaß an der Sache verlieren.

Natürlich sollte man sich seiner Verantwortung bewusst sein. Zugleich ist es verantwortungslos, aus Prinzip an etwas festzuhalten, das beiden Seiten schadet. Ich denke, dass es niemandem leichtfällt, sich von seinem Pferd zu verabschieden. Die Lebensumstände, die dazu geführt haben, sind von außen nicht einsehbar, genauso wenig wie die vielen Gedanken, die der Entscheidung zuvorgekommen sind. Deshalb wünsche ich mir mehr Respekt für die Entscheidung von Pferdemenschen, die sich von ihrem Pferd trennen. Besonders wenn sie den Mut haben, darüber in der Öffentlichkeit zu sprechen.