Gelebte Leichtigkeit

1. September, 2023 | Ausgabe II/2023, Ein Team., Ein Team. [II/2023]

Leichtigkeit ist der Dreh- und Angelpunkt der École de Légèreté. Diese Reitweise, geprägt von ihrem Schöpfer Philippe Karl, hat sich ganz der feinen Kommunikation verschrieben. „Master Teacher“ Sabine Mosen ordnet ein und gibt Tipps.

Autorin: Kristina Sehr

Als „Master Teacher“ der École de Légèreté macht sich Sabine Mosen stark für mehr Leichtigkeit zwischen Pferd und Reiter.
Foto: Claudia Schipper

Leichtigkeit ist der Dreh- und Angelpunkt der École de Légèreté. Diese Reitweise, geprägt von ihrem Schöpfer Philippe Karl, hat sich ganz der feinen Kommunikation verschrieben. „Master Teacher“ Sabine Mosen ordnet ein und gibt Tipps.

Sabine Mosen ist ein Mensch, der die eigenen Worte mit Bedacht wählt. Im Gespräch über die Reitweise der Légèreté und die feine Hilfengebung denkt sie immer wieder nach, korrigiert sich, stellt Rückfragen. So fein, wie sie sich das Reiten wünscht, sind auch ihre Beschreibungen.

Die 62-jährige Pferdewirtschaftsmeisterin lebt in Südniedersachsen, bildet aber Reiter und angehende Reitlehrer in ganz Deutschland und Europa aus. Seit rund 13 Jahren ist sie „Master Teacher“ der École de Légèreté und somit auch für den Unterricht der nächsten Ausbildergeneration zuständig. Was sie einst von Philippe Karl lernte – und noch lernt – gibt sie nun weiter.

Mosen selbst blickt auf eine ähnliche Laufbahn zurück wie die meisten Menschen, die zu ihr kommen. Ihre Anfänge machte sie in der Reitschule von nebenan, gab sich Mühe im Sattel der Schulpferde, bis das Geld nach dem Studium für das erste eigene Jungpferd, eine Trakehnerstute, reichte. Aber immer wieder stieß sie in der Ausbildung der Pferde und Reiter an Grenzen. „In meiner Jugend hatte ich von meiner damaligen Reitlehrerin das Buch ‚Von der Koppel bis zur Kapriole‘ von Waldemar Seunig geschenkt bekommen“, erinnert sie sich. „Als ich dann mit meiner Stute auf LM-Niveau angekommen war, dachte ich mir auf Lehrgängen aber immer öfter: Moment mal! Das stimmt mit den Aussagen im Buch überhaupt nicht überein. Ich dachte doch, die Hilfengebung soll immer leichter werden. Stattdessen sollte ich mein Pferd nun, je höher unser Ausbildungsstand war, mit immer stärkerem Einsatz der Hilfen reiten. Das kam mir falsch vor.“

Mosen setzt auf so wenige Hilfsmittel wie möglich: „Ein Pferd sollte immer aufgrund von Vertrauen und Verständnis mitmachen.“
Foto: Claudia Schipper

Also begann sie, nach Alternativen zu suchen – und wurde bei Philippe Karl fündig. Was sie überzeugte? „Dass jedes Pferd durch die Arbeit mit ihm plötzlich mehr Freude und Ausdruck entwickelte“, beschreibt sie ihren ersten Eindruck. Außerdem kam ihr die Herangehensweise „logisch“ vor. Und: Sie war fasziniert davon, „mit wieviel Rückgrat Karl für seine Prinzipien einsteht“. Jahrelang arbeitete sie immer wieder in Kursen mit dem Reitmeister zusammen; 2001 folgte eine einjährige Zusammenarbeit auf dem Trakehnergestüt Webelsgrund.

Seitdem bleibt sie der École de Légèreté treu – schaut aber immer wieder „über den Tellerrand“, wie sie sagt. Mosen ist es wichtig, keine anderen Reitweisen zu verurteilen, stattdessen plädiert sie für gegenseitigen Austausch. Sie sagt: „Ich glaube, meine konventionelle Ausbildung hat mir geholfen. Auch die FN verfolgt viele sinnvolle Ansätze. Die Frage ist ja vielmehr, mit welchen Mitteln die einzelnen Ausbilder ihre Theorie in die Praxis umsetzen und zu welchem Ziel sie mit den Pferden kommen.“

Aber welchen Stellenwert nimmt die Leichtigkeit innerhalb der Légèreté ein? „Sie ist die Quelle, aus der man schöpft. Aber auch die Folge der guten Arbeit“, erklärt die Ausbilderin. „Sie begleitet uns die ganze Zeit.“ Diese Herangehensweise sei auf alle Disziplinen und Rassen übertragbar, so Mosen. Regelmäßig kommt es vor, dass Reiter verschiedenster Disziplinen sich in Lehrgängen Anregungen von Mosen und ihren Kollegen holen. Hier einige Tipps, die jeder Pferdemensch ausprobieren kann, der sich mehr Leichtigkeit im Alltag wünscht:
Hilfsmittel reduzieren

„Früher habe ich die Erfahrung gemacht, dass Reitlehrer mich mit jedem neuen Problem, das in der Ausbildung auftrat, immer stärker ausrüsten wollten – mal sollten es Hilfszügel sein, mal ein anderes Gebiss“, sagt Sabine Mosen. „Die École de Légèreté vertritt aber die Meinung: Ein Pferd sollte immer aufgrund von Vertrauen und Verständnis für die Hilfen mitmachen. Wo Zwang vorherrscht, hört Reitkunst auf, daher verzichten wir auf alle Hilfsmittel, die ein Pferd in Haltung zwingen und ihm ‚das Maul verbieten‘.“

 

Hilfen trennen

„Für mich war es das wohl größte Aha-Erlebnis meiner Laufbahn, ganz einfach die Reiterhilfen zu trennen“, sagt Mosen. „Als ich aufhörte, gleichzeitig zu treiben und mit den Händen zu halten, sondern bewusst jede Hilfe an mein Pferd einzeln gab, entstand plötzlich eine viel leichtere Kommunikation.“ Die École de Légèreté trennt die Hilfen im Rahmen der Ausbildung, damit diese nicht gegeneinander und präziser wirken. „So entsteht ein klareres Verständnis zwischen Reiter und Pferd“, betont Mosen.

 

Das Gebiss schmackhaft machen

Abkau- und Biegeübungen sollen dabei helfen, dem Pferd das Gebiss erst einmal zu „erklären“. Zu Beginn der Arbeit findet das Training an der Hand statt, sozusagen als „Vokabelschule“, wie Sabine Mosen lachend erläutert. Es gehe darum, dem Pferd zu zeigen, dass das Gebiss angenehm sein kann und der feinen Verständigung dient. Wer einmal einen ersten Versuch mit seinem Pferd starten möchte, könne das Gebiss vor dem Pferd stehend in die Maulwinkel anheben, bis es dem Druck nachgibt, empfiehlt die Ausbilderin. „Sofort lässt man das Gebiss dann wieder sinken, legt es auf der Zunge ab und lässt dem Pferd die Möglichkeiten, es angenehm zu platzieren, zu ‚kosten‘.“ So könne man dem Pferd „ein Gesprächsangebot machen“.
Wie ein Gespräch

Apropos Verständnis: „Es hilft, sich das Reiten wie ein Gespräch unter Freunden vorzustellen“, sagt Mosen. „Wenn ich spreche, hörst du zu. Wenn du sprichst, höre ich zu.“ Man nehme eine Verbindung auf und erzähle wechselseitig etwas. Auch die Reiterhand solle eher eine „Frage ans Pferd“ stellen, als Befehle zu erteilen. „Wichtig dabei ist: Man muss wirklich zuhören.“

 

Mit dem arbeiten, was das Pferd mitbringt

Die Légèreté-Ausbilder gehen davon aus, dass jedes Pferd eine Art Grundsensibilität mit sich bringt. Das eine Pferd stupst uns schon mal heftiger an, das nächste ist eher übersensibel. „Wir gehen individuell auf die Charaktere ein und bilden das Pferd aus dieser Quelle heraus aus.“

 

Geduld für die Basisarbeit

Auch im Rahmen der Légèreté fällt dem Reiter das Höchstmaß an Leichtigkeit nicht ganz einfach in den Schoß, sondern wird geduldig erarbeitet. Dazu zählt die solide Arbeit an der Basis, zu der auch das Wissen um die Anatomie und Biomechanik des Pferdes gehört. „Um wirklich mit Leichtigkeit geritten werden zu können, braucht das Pferd ein Höchstmaß an Balance, Impulsion und Losgelassenheit“, betont Mosen. „Das alles erarbeiten wir über einen langen Zeitraum mit Übergängen, Seitengängen und viel Basisarbeit, zu der auch ein häufiger Wechsel zwischen korrekter Dehnungshaltung und Aufrichtung gehört. Nur so können wir die Trag- und Schubkraft innerhalb des Pferdes optimal organisieren.“

 

Den Alltag vielseitig gestalten

„Wir legen Wert auf Abwechslung und Vielseitigkeit“, sagt die Master-Instruktorin. Dazu gehören Ausritte ins Gelände, Cavaletti- und Stangenarbeit und auch kleine Sprünge.
Ein Hauch Frohsinn

Klingt einfach – ist aber entscheidend: „Das Pferd soll wohlwollend behandelt werden!“, wie die Ausbilderin zu bedenken gibt. Verbissenheit sei hier fehl am Platz. Am Ende sollte das Pferd stolz auf sich selbst sein können und mit Motivation bei der Sache sein.

Leichtigkeit ist die Basis und das Ziel der Légèreté. Die Belohnung für all die Arbeit mit dem Pferd ist es schließlich, es ausschließlich aus dem Sitz heraus reiten zu können – mit hauchfeinen Hilfen. „Wie ein Gespräch ohne Worte. Man könnte es mit Telepathie vergleichen“, erläutert Sabine Mosen. Angestrebt werde immer eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Und dafür sei zwar ein gründlicher und logischer Ausbildungsweg erforderlich, aber niemals Kraft oder Zwang – „denn wo Kraft eingesetzt wird, mangelt es in der Regel ganz einfach an Wissen“.

Ob Isländer oder Kaltblüter, Oldenburger oder Paint Horse: Jedes Pferd könne „mit Leichtigkeit in der École de Légèreté ausgebildet werden“, sagt die Instruktorin abschließend. Denn jedes Pferd könne selbst bis in die hohen Lektionen kommen, wenn man es „bei Trennung der Hilfen mit einem nachvollziehbaren Ausbildungsplan“ fördert.

Sabine Mosen hat während ihrer reiterlichen Laufbahn schon vieles gelernt – und „lernt nie aus“, wie sie selbst sagt. Ihre eigens ausgebildete Stute, die sie damals zur Légèreté brachte, hieß übrigens Wakonda. Der Name stammt aus den Sprachen der Sioux und lässt sich übersetzen als „das Wunderbare“. Diesem Credo bleibt Mosen bis heute treu: „Das Wunderbare und die Schönheit in der Natur der Pferde zu erkennen und zu fördern – das ist gelebte Leichtigkeit.“

Seit 2010 ist Sabine Mosen „Master Teacher“ der École de Légèreté – dabei begann ihr Weg in einer typischen Reitschule im örtlichen Reitverein. 1990 bestand sie die Prüfung zur Pferdewirtschaftsmeisterin Zucht und Haltung; außerdem ist sie Trainerin B nach FN-Reglement. Ob Hubertus Schmidt oder Uta Gräf: Die studierte Diplom-Agraringenieurin bildet sich gern weiter und besucht immer wieder Lehrgänge verschiedener Ausbilder. Als „Master Teacher“ bildet sie angehende Reitlehrer der École de Légèreté aus, gibt aber auch Lehrgänge in ganz Deutschland.
Foto: Claudia Schipper
sabine-mosen-legerete.de