Der Weg ist das Ziel
Wann fühlen wir wahre Freiheit mit dem Pferd? Für die einen ist es das harmonische Zusammenspiel im Dressurviereck, für die anderen die feine Kommunikation bei der Bodenarbeit. Wanderreiter suchen die gemeinsame Erfahrung in der Natur.
Autorin: Kim Henneking
Foto: Mandy Jordan
„Ich habe gemerkt, was mir im Leben wichtig ist und dass ich auch mit wenig und mit Entbehrungen glücklich sein kann. Ich habe mich selbst gefunden.“
Jeder Ausflug von Sarah Hagenauer und Milan bietet einzigartige Erfahrungen und hinterlässt wunderschöne Erinnerungen, wie an diesen Ausblick an der Burgruine Hohenhewen im Hegau.
Foto: Sandra Jäger
Welcher Pferdemensch träumt nicht davon, einmal am Strand in den Sonnenuntergang zu reiten oder im gestreckten Galopp über unendliche Wiesen zu fegen? Der Wind in den Haaren, die Hände im Fell des Pferdes – zwei Herzen schlagen im selben Takt. Dieses Gefühl der Freiheit und tiefer Verbundenheit haben Uta Paulus, Sarah Hagenauer und Annika Krämer-Kühl im Wanderreiten gefunden. Diese drei Reiterinnen, die ganz verschiedene Leben führen, erkunden mit ihren Pferden die Welt und haben auf dem Weg zu einer gemeinsamen Sprache und engen Verbundenheit gefunden.
Uta Paulus hat zehn Jahre lang auf dem Pferderücken die Welt bereist. Sie ist mit einer freilaufenden Herde durch die Vulkanlandschaft von Island geritten, ist mit mongolischen Ponys durch die unendliche Steppe galoppiert, hat sich der brennenden Hitze Namibias gestellt und hat mit Höhenangst im peruanischen Gebirge einem trittsicheren Pferd die Zügel überlassen. „Die Reisen haben mich im Inneren berührt und verändert“, sagt Uta Paulus. Dabei sei sie an ihre eigenen Grenzen gegangen und habe immer wieder erlebt, wie Pferde die Menschen verbinden, über Sprachbarrieren hinweg, auch innerhalb der Reisegruppen.
Teils lebten die Tiere unter härteren und einfacheren Bedingungen, als sie es in Deutschland gewohnt war, aber die Menschen vor Ort würden meist alles für sie tun, gerade wenn die Tiere zum Lebensunterhalt beitragen. Zäh, trittsicher, fit – immer wieder war sie erstaunt, was die Pferde leisten konnten und wollten. „Ich habe gemerkt, was mir im Leben wichtig ist – intensives Erleben, Neues entdecken auch mit dem Partner Pferd – und dass ich auch mit wenig und mit Entbehrungen glücklich sein kann. Ich habe mich selbst gefunden.“
Mit dem Pferd zu sich selbst finden – das hat auch Sarah Hagenauer mit ihrem Criollo-Pony Milan erlebt. Gemeinsam erkunden sie ihre Heimat in den Alpen am Bodensee. „Milan hat mich gelehrt, von den eigenen Zielvorstellungen wegzugehen“, sagt sie. Von der Grundausbildung über das tägliche Training bis zum Wanderritt, Milan sei ein sensibles Pony und merke sofort, wenn Sarah mit den Gedanken woanders oder schlicht müde ist. „Manche sagen, Pferde spielen einem etwas vor. Das mag ich nicht“, sagt sie. Vielmehr würden Menschen unauthentisch handeln, wenn sie auf ihrer Vorstellung beharren, obwohl es nicht zur Situation passt – zum Beispiel auf den Trainingsplan bestehen, obwohl Pferd und Mensch nicht konzentriert sind. „Als Mensch versucht man, Kontrolle zu haben. Das gibt einem Sicherheit. Aber Freiheit erlebt man, wenn man es schafft, die Kontrolle abzugeben.“
Deshalb gehen die beiden am liebsten auf Wanderritt, ohne eine Strecke zu planen, und bleiben, wo sie sich wohlfühlen. Ihre schönste Erinnerung hat Sarah Hagenauer von einem Ritt in den Schwarzwald. „Wir haben an einer Lichtung Rast gemacht, der Wald war dunkel, der Mond ist aufgegangen und Milan hat sich hingelegt. Ich habe gehört, wie er leise schnarcht und sein Huf hat im Schlaf gezuckt. Das war so irreal – einer der schönsten Momente!“ Erlebnisse wie diese, mit dem Pferd in der Natur, laden ihren Akku wieder auf, sagt Sarah Hagenauer.
Uta Paulus hat die Welt zu Pferd bereist. Die Pferde haben Ausdauer und Lebensfreude gezeigt, selbst in schwierigem Gelände und bei anstrengenden Temperaturen, wie hier in Lesotho.
Foto: Privat
Dieses Gefühl kennt auch Annika Krämer-Kühl. „Das Leben ist ein Ponyhof. Ich gehe nach der Arbeit zum Stall und es dauert fünf bis zehn Minuten, dann bin ich in der Ponywelt. Das hilft, mich zu erden. Auf einem Wanderritt habe ich das 24 Stunden am Stück“, sagt sie. Annika ist gemeinsam mit ihren zwei Haflingern Merlin und Wemby im Harz unterwegs und hat auch die Alpen ausgiebig beritten. „Auf einem Wanderritt bin ich in einer anderen Welt, ich befasse mich mit anderen Dingen als im Alltag.“ Wenn sie mit ihren Pferden unterwegs ist, besteht die sonst strukturierte Projektleiterin nicht darauf, dass alles läuft, wie geplant. „Ich fühle mich frei – auch im Sinne von „flexi-
bel sein“, „loslassen“ –, es geht um den Weg, nicht um das Ziel.“
Auf dem Weg stoße man auch unerwartet auf Probleme, die es zu lösen gelte. Die größte Herausforderung für Annika Krämer-Kühl war der Tag, an dem die Pferde über Nacht das Lager verlassen haben. „Ich habe morgens aufs Handy geguckt und gesehen, dass das GPS-Signal der Pferde drei Kilometer weit weg war“, erinnert sie sich. In großer Aufregung hätten ihre Freundin und sie sich Fahrräder vom Wegesrand genommen und die Pferde gesucht. Auf dem Weg seien sie fast mit einem Hirsch kollidiert. „Wir haben sie am Bahnhof eingesammelt, vielleicht wollten sie nach Hause fahren.“ Gemeinsam mit den unversehrten Ausreißern seien sie dann zurück zum Lager und hätten auch die „geliehenen“ Fahrräder zurückgebracht. „Danach wurde mir gesagt: Jetzt bist du eine richtige Wanderreiterin.“
Aber auch weniger dramatische Hindernisse können beim Wanderreiten auf Mensch und Pferd warten – wie Autobahnbrücken, dichter Straßenverkehr, Gräben, Flüsse, steile Berge, umgefallene Bäume, Kühe und vieles mehr. Manchmal lösten sich durch diese Konfrontation auf dem Weg Probleme intuitiv, die man zu Hause nicht überwinden konnte. „Es ist toll zu sehen, was mein Pferd alles kann, und wie er Situationen löst“, sagt Annika Krämer-Kühl. Sie habe gelernt, auf ihr Pferd zu vertrauen, denn nur als Team komme man auf einem Wanderritt voran. Dennoch müsse man sich Schritt für Schritt auf einen Ritt vorbereiten.
Dieser Herausforderung stellt sich jetzt Uta Paulus mit ihrem eigenen Pferd, nachdem sie jahrelang auf verlässlichen Leihpferden die Welt bereist hat. „Pferde können so viel leisten, sie sind dafür gemacht, lange Strecken zu gehen“, sagt sie. Sie habe beobachtet, wie die Leihpferde unter einfachsten Lebensbedin-gungen gelassener, ausdauernder und fitter waren als viele Pferde in Deutschland. „Sie waren immer gut trainiert und kamen meist mit wenig speziellem Futter aus – Gras, Heu oder mal etwas Hafer.“ Ausdauertraining und Gesundheit durch „weniger statt mehr“ – das nimmt sie sich als Vorbild für die „Abenteuer vor der Haustür“ mit ihrer Islandstute.
In der italienischen Lombardei sind Annika Krämer-Kühl und ihr Pferd einer freundlichen Kuh auf dem Trela-Pass begegnet.
Foto: Viktoria-Maria Müller-Vogeley
„Als Mensch versucht man, Kontrolle zu haben. Das gibt einem Sicherheit. Aber Freiheit erlebt man, wenn man es schafft, die Kontrolle abzugeben.“
Alle drei Wanderreiterinnen sind sich sicher: Die Basis für einen sicheren Wanderritt ist eine feste Grundausbildung. Auch ein gutes Körperbewusstsein, Gelassenheit und Verladefähigkeit seien unerlässlich. Wer mehrere Tage unterwegs sein will, beginnt mit kleinen Ausritten vom Hof und steigert dann die Strecke Stück für Stück. Erste Wanderreitluft können geführte Touren mit fremden oder eigenen Pferden und Wanderreitkurse bieten, sowie eine kurze Strecke mit Übernachtung im Nachbarort. Expertentipp: Ausrüstung und Kleidung immer vor dem Ritt testen und nur das Nötigste mitnehmen. Wer das beachtet, kann außergewöhnliche Erlebnisse mit seinem Pferd sammeln.
Tag und Nacht mit dem Pferd zu verbringen ist ein Privileg, das nur die wenigsten Pferdefreunde tatsächlich erfahren können. Manche suchen ihr Leben lang nach dem einen Seelenpferd, das sie überallhin begleitet. Uta Paulus, Sarah Hagenauer und Annika Krämer-Kühl haben ihren Weg dorthin durch das Wanderreiten gefunden. Sie haben gelernt, dass Freiheit durch tiefes Vertrauen und im Team von Mensch und Pferd erfahrbar sind.
Wanderreiterinnen
Sarah Hagenauer wohnt bei Konstanz und arbeitet als Lehrerin an einem beruflichen Gymnasium. In ihrem Buch „Lass uns zusammen Grashalme zählen“ erzählt sie die Geschichte, wie sie ihr Criollo-Pony Milan selbst ausgebildet hat und wie er sie dazu gebracht hat, Pferde mit anderen Augen zu sehen. Den Alltag dieses harmonischen Pferd-Mensch-Teams kann man auf ihrem Instagram-Kanal „milanroessle“ nachlesen – geschrieben aus der Sichtweise des Ponys.
Foto: Sarah Hagenauer
Uta Paulus wohnt mit ihrer Islandstute Laufey, alias Püppi, in der Nähe von Hamburg. Viele Jahre hat die Redakteurin ihre Urlaube mit Wanderritten in verschiedenen Ländern verbracht. Was sie dabei über Menschen, Pferde und sich selbst gelernt hat, hat sie in ihrem Buch „Die Welt durch Pferdeohren“ festgehalten. Ihre „Abenteuer vor der Haustür“ mit dem eigenen Pferd teilt sie auf ihrem Instagram-Kanal „love.horses.blog“.
Foto: Pferdeblickwinkel Photographie
Annika Krämer-Kühl ist Molekularvirologin und arbeitet als Projektleiterin. Mit ihren Haflingern Merlin und Wembley, genannt Wemby, wohnt sie im Harz. Die leidenschaftliche Landschafts- und Pferdefotografin teilt ihre Abenteuer auf ihrem Instagram-Kanal „Goldknoepfe“ und auf ihrer Website www.goldknoepfe.de. Dort berichtet sie über die Vorbereitung und Wanderritte mit Wemby und über ihren Pferdesenior – inklusive aller Höhen und Tiefen, die damit einhergehen.
Foto: Viktoria-Maria Müller-Vogeley
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