Meine Religion ist ein wichtiger Teil von mir
Mit ihrem Schimmel Alvaro verbringt die 23-jährige Sinem Yildirim am allerliebsten ihre Zeit. Neben ihrem Beruf als Krankenschwester ist sie auch als Influencerin erfolgreich. Was besonders ins Auge fällt: Sinem trägt auch beim Reiten ein Hijab, also ein muslimisches Kopftuch, und thematisiert online immer wieder ihre Religion. Wir haben mit der Niederländerin gesprochen.
Autorin: Kristina Sehr
Sinem Yildirim im Gespräch.
Foto: Karin Borden-Derks
Sinem, wie hast du zum Reiten – und natürlich zu deinem Pferd Alvaro – gefunden?
Sinem Yildirim: Mit dem Reiten angefangen habe ich, als ich 19 war. Schon seit meiner Kindheit war ich pferdeverrückt, aber meine Familie konnte sich dieses Hobby für mich nicht leisten. Als ich schließlich in meinem Beruf als Krankenschwester selbst Geld verdient habe, habe ich entschieden, meinen Traum endlich wahr werden zu lassen. Zuerst habe ich ein Jahr lang eine Reitschule besucht, danach durfte ich für ein weiteres Jahr das Pferd einer Freundin reiten. In dieser Zeit habe ich viel gelernt, sodass ich irgendwann den Entschluss fasste, ein eigenes Pferd zu kaufen. So fand ich Alvaro, meinen P.R.E.-Wallach, der damals elf Jahre alt war. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe Alvaro einmal besucht und am Tag danach gehörte er mir. Das alles war nur durch die Unterstützung meiner Mutter und meines Bruders möglich, denn eigentlich lag Alvaro über meinem Budget. Sie haben mir geholfen. Seitdem habe ich es nicht einen Tag bereut, dass ich mich für Alvaro entschieden habe.
Auf Instagram gibst du deinen Followern Einblicke in deinen Alltag. Wie hast du es geschafft, dir dort so ein starkes Profil aufzubauen?
Sinem: Ich habe ziemlich schnell nach dem Kauf von Alvaro mit Instagram angefangen. Die Idee hatte ich, weil eine Arbeitskollegin dort auch über ihren Alltag mit ihrem Pferd berichtete. Damals wusste ich noch nicht mal, dass es so etwas wie „Pferde-Accounts“ gibt. Anfangs begann alles ganz langsam. Aber dann ging ein Reel von Alvaro und mir viral, das die Fotografin Karin Borden-Derks gemacht hatte. Plötzlich waren da Tausende von Followern. Seit diesem Moment habe ich Instagram wirklich ernst genommen und danach auch viele Foto- und Videoshoots gehabt – ich habe also auch Geld investiert. Aber je mehr Follower hinzukamen, desto mehr Möglichkeiten und Chancen bekam ich. Nun werde ich von einer tollen Fotografin, Joyce Zandbergen, gesponsert. Wir sind mittlerweile Freundinnen und arbeiten für verschiedene Marken zusammen. Wahnsinn,
wie sich das entwickelt hat.
Hattest du damals ein bestimmtes Ziel vor Augen, das du mit Social Media erreichen wolltest?
Sinem: Als ich anfing, auf Instagram zu posten, wollte ich einfach nur Erinnerungen festhalten. Als der Kanal dann wuchs, habe ich mir – eher als Scherz – das Ziel von 10.000 Followern gesetzt. Aber dann ging alles plötzlich schneller als erwartet. Als ich dann noch Anfragen von Marken bekam, die mit mir arbeiten wollten, habe ich gemerkt: Das hier ist wirklich eine tolle Möglichkeit. Aber bis heute fühle ich mich nicht als „Influencerin“. Ich mache das alles ganz einfach, weil es mir Spaß macht – und all meine Ziele habe ich schon erreicht.
Ihr Hijab zeigt Sinem nicht nur auf ihren Fotos. Sie thematisiert ihren Glauben auch immer wieder auf ihrem Instagram-Account.
Foto: Joyce Zandbergen
Wie sieht dein Alltag aus?
Sinem: Um ehrlich zu sein, ist mein Leben nicht so besonders interessant. Eigentlich bin ich immer nur zu Hause, auf der Arbeit oder im Stall. Ich versuche, mindestens viermal pro Woche zu Alvaro zu fahren – aber wenn ich könnte, wäre ich täglich dort. Der Stall ist mein “Happy Place”. Mein zweitliebster Ort ist mein Zuhause, wo ich mit meinen Katzen Bella und Coco kuschle und wo meine Mutter das beste Essen der Welt für mich kocht. Ich versuche, ihr viel zu helfen, aber oft bin ich müde, wenn ich nach der Arbeit heimkomme. Meine Mutter ist unglaublich wichtig für mich: Sie unterstützt mich immer. Sie hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.
Wie würdest du dich selbst als Reiterin beschreiben?
Sinem: Bevor ich Alvaro bekam, bin ich auch gern hin und wieder gesprungen, aber mit Alvaro widme ich mich eigentlich nur der Dressur. Mein Wunsch wäre es, irgendwann auch mit ihm an Turnieren teilzunehmen. Aber wenn wir das nicht schaffen, ist es auch nicht schlimm, denn der Spaß und das Erlebnis zusammen mit ihm stehen für mich immer im Vordergrund. Meine Vorbilder sind vor allem meine Freundinnen Patricia und Joyce, die auch junge Pferde ausbilden – ich wünschte, ich könnte so etwas! Und ich nehme Unterricht bei Bo Kasbergen und Babette Veenman, denen ich früher schon bei Instagram gefolgt bin. Ihre Arbeit mit P.R.E.s ist unglaublich.
Du zeigst auf Instagram nicht nur, dass du ein Hijab, also ein muslimisches Kopftuch trägst, sondern thematisierst es auch und beantwortest Fragen deiner Follower dazu. Wie sind die Reaktionen darauf?
Sinem: Als ich anfing zu reiten, kannte ich ebenfalls absolut niemanden außer mir, der mit Kopftuch reitet. Es ist also keine Überraschung für mich, dass viele Menschen, die mein Profil entdecken, noch nie vorher einen Reiter mit Hijab gesehen haben. Und ich habe kein Problem damit, Fragen zu beantworten. Meine Religion ist ein wichtiger Teil meines Lebens, also liebe ich es, etwas davon zu teilen und Wissen zu vermitteln. Dank Instagram habe ich auch andere muslimische Reiterinnen kennengelernt, die ebenfalls ein Kopftuch tragen – wir haben sogar einen eigenen Account namens @hijabiequestrians gegründet. Ich habe das Gefühl, unser Hijab macht uns besonders. Und ja, manchmal kriege ich auch verletzende, beleidigende Nachrichten. Anfangs hat mich das noch mitgenommen, mittlerweile blockiere ich solche Menschen einfach. Und glücklicherweise bekomme ich viel mehr positive als negative Nachrichten.
Es ist ungewöhnlich für Influencer aus der Pferdewelt, über Religion zu sprechen. Warum sprichst du das Thema so offen an?
Sinem: Weil meine Religion ein wichtiger Teil von mir ist und mich zu dem Menschen macht, der ich bin. Jeder kann sehen, dass ich eine Muslimin bin, weil ich mein Hijab trage. Warum also sollte ich zu dem Thema schweigen? Und nun, wo mir viele Menschen folgen, sehe ich das alles auch als Chance, aufzuklären. Wenn man die Nachrichten sieht, überwiegen oft negative News rund um den Islam. Ich hoffe, ich kann dazu beitragen, dass die Menschen sehen, dass auch wir ganz normale Leute sind, die normale Dinge tun – genau wie sie.
Und welche Rückmeldungen bekommst du dazu? Gibt es besondere Beispiele, die dir in Erinnerung geblieben sind?
Sinem: Ganz ehrlich: Es gibt ganz verschiedene Reaktionen. Zum Beispiel gibt es nichtmuslimische Menschen, die sagen, dass sie es toll finden, online mehr Vielfalt zu sehen. Und es gibt junge Mädchen, die mir sagen, dass ich sie dazu inspiriert habe, auch mit dem Reiten anzufangen. Aber es gibt auch Menschen, die mir schreiben, dass ich mein Kopftuch falsch trage und dass ich einen schlechten Einfluss auf andere muslimische Frauen habe, und zwar wegen der sonstigen Kleidung, die ich beim Reiten trage. Denn eigentlich sollte ich als Hijab tragende Frau keine allzu enge oder freizügige Kleidung tragen. Darauf achte ich im Alltag auch, aber auf meinem Profil sieht man mich teilweise auch in klassischen Reit-Outfits, die manchmal auch etwas enger ausfallen können – und das provoziert manche Menschen wohl. Aber ich denke: Jeder kann mir online alles sagen, solange er oder sie dabei respektvoll bleibt.
Mittlerweile hat Sinem mehr als 30.000 Follower.
Foto: Karin Borden-Derks
Denkst du, es täte der Pferdewelt gut, Themen wie Religion offener zu kommunizieren?
Sinem: Ich persönlich fände es großartig, wenn mehr Reiter darüber sprechen würden. Religion ist doch ein wichtiger Teil unseres Lebens. Ganz egal, welchen Glauben man hat, oder ob man gar nicht gläubig ist. Ich würde mir wünschen, dass wir alle voneinander lernen und uns mehr auf Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede konzentrieren. So können wir als Reiter eine Gemeinschaft bilden und das tun, was wir leben – jeder auf seine Weise, aber zusammen.
Sinem und ihr Pferd Alvaro sind ein wunderbares Team. Der Schimmel ist ihr erstes eigenes Pferd.
Foto: Karin Borden-Derks
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