Pferdeliebe an der Belastungsgrenze
Der lang ersehnte Traum vom eigenen Pferd. Doch was, wenn Fürsorge zur Belastung wird und das Pferd zur stillen Stressquelle? Ein Blick auf die Ursachen zeigt Wege, wie Leichtigkeit und Freude im Stallalltag wieder Platz finden können.
Autorin: Kati Westendorf

Kati Westendorf ist selbst Psychologin und in der psychologischen Emotionscoaching-Begleitung von Menschen und Fellnasen tätig.
Foto: Ronja Erdmann
Stallzeit. Ein Wort, das in den meisten Fällen ein vorfreudiges Schmunzeln bewirkt. Schließlich finden wir dort den wohltuenden Ausgleich vom stetig wachsenden Alltagsstress, oder?
Doch was ist, wenn aus der Freude mit der Fellnase plötzlich – von Sorgen und Stress abgelöst – ein weiterer Punkt auf der To-Do-Liste wird? Wenn die Verantwortung für dein Pferd vor allem bei Krankheit oder besonderen Bedürfnissen dir mehr Kraft raubt als ressourcenvoller Ausgleich ist? Dann wird die eigene Gefühlswelt schnell zur Heimat von Einsamkeit, Schuld- und Schamgefühlen und einer wachsenden Portion Erschöpfung.
Die Ursachen für den Verlust der Freude?
Biopsychosozial
Wir Menschen lieben es simpel und wollen gerne direkt zur Lösung hüpfen. Getreu dem Motto: „Sag mir, warum das so ist, damit ich das sofort abschalten kann.“ Doch ganz so einfach ist es leider nicht. In der Psychologie sprechen wir von einem biopsychosozialen Modell, wenn wir die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Stressbelastung unter die Lupe nehmen, weil das so individuell ist wie dein Fingerabdruck.
Woher dein Stress kommt und wieso der nicht mit ein bisschen positivem Denken wieder weg ist, lässt sich also mit biologischen, psychischen und sozialen Faktoren erklären. Und zu allem Überfluss sind sie auch noch untrennbar miteinander verflochten und beeinflussen das Stresserleben gemeinschaftlich. Was auf den ersten Blick wirkt, als würde es ein Gefühlschaos noch fördern, ist eigentlich eine gute Nachricht. Vielen Menschen hilft genau dieses Verständnis für die Vielschichtigkeit der Stressgründe, um die eigenen Selbstvorwürfe zu reduzieren. Du bist nämlich nicht schuld daran, dass sich die Zeit mit deinem Pferd gerade nicht mehr so schön anfühlt, wie es einmal war. Und es gibt viele Ansatzpunkte, deine vermisste Unbeschwertheit wieder zurückzugewinnen.
Grob gesagt spielen genetische Voraussetzungen, also die Biologie, individuelle Denk- und Verhaltensmuster, die Psychologie, sowie dein soziales Umfeld, also gesamtgesellschaftliche, soziale Einflüsse und aktuelle Lebensumstände bei der Entstehung von Stress eine Rolle und können zu dessen Aufrechterhaltung beitragen. Das wird greifbarer, wenn wir auf ein paar typische psychische Belastungsgründe schauen.
Es gibt sie: Die Top 3 Belastungsgründe, die Pferdemenschen umtreiben. Allen voran sind es Gesundheitssorgen um das eigene Pferd. Dabei ist es erst einmal völlig egal, ob schon eine Krankheit besteht oder man sich einfach Sorgen macht, dass vielleicht irgendwann einmal etwas sein könnte. Beides geht unter die Haut und zehrt am Nervenkostüm. Gesundheitssorgen wirken sich nicht nur psychisch aus, indem sie Ängste und Grübel-Spiralen auslösen, sondern können auch körperliche Folgen wie Schlafstörungen oder Verspannungen nach sich ziehen.
Der eigene, teils überhöhte Anspruch in Bezug auf Verantwortung und Zeitmanagement spielt die zweite Hauptrolle. Wir wollen keine Fehler machen, keine Fehlentscheidungen für das eigene Pferd treffen und es schon gar nicht zu kurz kommen lassen. Neben der Mehrbelastung durch Organisation und Mental Load, die mit der Versorgung und dem Training des Vierbeiners einhergehen, führt auch die Vereinbarkeit mit Beruf, Familie und anderen Verpflichtungen häufig zu Überforderung und Zeitstress. Dadurch wird schnell klar, dass es gar nicht immer nur um das Pferd selbst geht, sondern eben um das gesamte Leben und all die Stressoren, die da zusammenkommen.
Zur zusätzlichen Belastung können finanzielle Sorgen werden, denn auch hier geht es um mehr als um eine Zahl auf dem Konto. Sorgen ums Thema Geld entstehen zwar oft durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, schlagen sich aber meist auch in Form von Zukunftsängsten und Schuldgefühlen nieder und können bei Dauerbelastung durch den chronischen Stress ebenfalls körperliche Beschwerden hervorrufen.
Nicht alle Belastungsfaktoren können gleichermaßen beeinflusst werden. Darum schauen wir genauer auf einen weiteren verhaltenspsychologischen Faktor der Stressentstehung und -aufrechterhaltung, bei dem sich viele Pferdemenschen wiederfinden.
Zwischen Verantwortung und Selbstaufopferung
Pet Pleasing meint das tierische Pendant zum bekannten Begriff People Pleasing: Es bezeichnet den starken Wunsch, es dem eigenen Pferd immer recht zu machen – auf Kosten der eigenen Bedürfnisse und dadurch langfristig zu Ungunsten des eigenen Wohlergehens. Es kann sich auf ganz unterschiedliche Weise bemerkbar machen, zum Beispiel indem du eigene Termine und Pausen aufschiebst, weil du denkst: „Mein Pferd kann ja nicht warten“, und du sofort ein schlechtes Gewissen bekommst, wenn mal nicht alles perfekt läuft oder du dir doch Zeit für dich selbst nimmst.
Pet Pleasing als Verhaltensmuster entsteht oft unbewusst aus vorangegangenen Prägungen und letztlich auch, weil dir dein Pferd so sehr am Herzen liegt und die Grenzen zur normativen Verantwortungsübernahme oft fließend erscheinen. Verantwortung bedeutet nicht, sich selbst dabei zu verlieren. Die meisten Pferdemenschen geben gerne etwas mehr als nötig. Und auch das darf beim eigenen Hobby mit dem vierbeinigen Familienmitglied gerne so sein, wenn die eigenen Kapazitäten und Bedürfnisse ebenso bedacht werden.
Die Selbstaufopferung für dein Pferd beginnt, wo die Fürsorge vor allem von innerem Druck, Perfektionismus oder Schuldgefühlen angetrieben wird. Dann geraten die eigenen Bedürfnisse dauerhaft ins Hintertreffen und du gehst ständig über deine eigenen Kapazitäten hinaus, ohne Rücksicht auf dein Wohlergehen. Und obwohl rein rational meist klar ist, dass auch das eigene Pferd davon profitiert, wenn es einem gut geht, verschwimmen die Grenzen im echten Leben dann doch schneller als gedacht. Für dein Pferd da zu sein, ist schön und wichtig, aber du musst dich nicht aufopfern. Deine Grenzen sind menschlich und schaffen die Basis für eine nachhaltigere Fürsorge für dein Pferd, um nicht gänzlich auszubrennen.
Fellnasen-Burnout: Wenn Fürsorge erschöpft
Unabhängig von den Gründen für Stress und Erschöpfung kann der Verlust der Freude Teil einer größeren Herausforderung sein. Tatsächlich können Pferdemenschen durch die Verantwortung und die damit einhergehenden emotionalen Herausforderungen in einen Zustand geraten, der mit dem Begriff Fellnasen-Burnout gut umschrieben wird.
Den Begriff des Burnouts kennst du vielleicht aus dem beruflichen Kontext. Doch auch in Fürsorgerollen wie der Elternschaft oder als Pferdemensch kann dieser Erschöpfungszustand in etwas abgewandelter Form und mit ähnlichen Symptomen auftreten.
Typische Anzeichen für Fellnasen-Burnout
- Ständige Müdigkeit, auch nach einer Pause
- Das Gefühl, nie wirklich abschalten zu können
- Verlust der Freude an gemeinsamen Momenten mit dem Pferd
- Gereiztheit oder Frust, auch über Kleinigkeiten
- Schuldgefühle, wenn du mal nicht alles schaffst
- Übermäßige Kontrolle und Sorgen um jedes Detail („Symptomlupe“)
- Innere Unruhe und das Gefühl, nie Zeit für sich selbst zu haben
Du bist emotional und körperlich ausgelaugt, weil sich deine Gedanken ständig um das Wohl deines Pferdes drehen. Selbst kleine Herausforderungen fühlen sich plötzlich riesig an, und die Freude am Stallalltag schwindet. Vielleicht ertappst du dich bei Gedanken wie: „Ich darf keinen Fehler machen“ oder „Was, wenn ich etwas übersehe?“ Ein hoher Anspruch und Gesundheitssorgen sind nicht selten ein Ausgangspunkt auf dem Weg ins Fellnasen-Burnout. Diese Belastung entsteht nicht nur durch große Krisen, sondern auch durch viele kleine, anhaltende Anforderungen und das Gefühl, immer verfügbar sein zu müssen.
Oft kommt noch dazu, dass man sich selbst Vorwürfe macht: „Ich müsste doch dankbar sein, so ein tolles Pferd zu haben.“ Doch genau dieser Gedanke macht es schwer, sich Hilfe zu holen oder auch mal einen Schritt zurückzutreten.
Was hilft? Schon kleine Veränderungen können einen großen Unterschied machen, wenn du dich an vereinzelten Tagen gestresst fühlst, dich aber schnell wieder erholen kannst: Teile Aufgaben im Stall, sage auch mal „Nein“ und gönne dir bewusst Pausen ohne schlechtes Gewissen. Der Austausch mit anderen Pferdemenschen kann entlasten und neue Perspektiven eröffnen. Wenn du aber merkst, dass die Belastung anhält, du dich dauerhaft erschöpft fühlst oder der Stress immer wiederkehrt, kann es sinnvoll sein, psychologische oder psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ein Fellnasen-Burnout ist keine offizielle Erkrankung, kann aber tatsächlich in einer Depression oder anderen psychischen Erkrankungen münden oder damit einhergehen. Obwohl mittlerweile schon offener darüber gesprochen wird, ist die psychische Gesundheit noch viel zu oft ein Tabuthema. Unterstützung anzunehmen ist kein Zeichen von Versagen, sondern kann ein wichtiger Schritt für dich und letztlich auch dein Pferd sein, wenn du dich belastet fühlst.
Mini-Pausen für dich
Kleine direkt umsetzbare Routinen können dein eigenes Stresslevel reduzieren:
Akut-Skill „Leckerli in der Hand“:
Nimm ein Leckerli in die Hand und spüre ganz bewusst die Form, Temperatur und Beschaffenheit des Leckerlis in deiner Hand. Diese kleine Übung lenkt deine Aufmerksamkeit weg vom Gedankenkarussell hin zu einem konkreten, sinnlichen Reiz. Das hilft, Stressreaktionen zu unterbrechen, dich zu erden und wieder im Hier und Jetzt anzukommen.
Glimmer-Moment im Trainingstagebuch:
Ergänze in deinem Trainingstagebuch einen kleinen Abschnitt für schöne Momente mit deinem Pferd – etwa ein besonders süßer Blick oder ein kleiner Mut-Moment. Das bewusste Festhalten solcher Erlebnisse lenkt den Blick auf das Positive und schenkt dir auch an stressigen Tagen ein gutes Gefühl.
Verabredungen ohne Pferdethemen:
Triff dich ganz bewusst mit einem Lieblingsmenschen und klammert das Pferdethema aus. Pferdefreie Zeit gibt dir neue Energie, weil der Erwartungsdruck und die Sorgen aus dem Stall für einen Moment Pause machen dürfen.
Mehr Infos unter equinality.de
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