Leidenschaft, die manchmal Leiden schafft
Schauplatz der Glückseligkeit versus eingefrorene Tränken, Wetterkapriolen und ganz schön viel Arbeit. Muss man ein wenig verrückt sein, um Pferdehaltung in Eigenregie zu betreiben? ekor-Leser berichten von ihrem Leben im Selbstversorger-Stall.
Autorin: Ines Vollmer

Foto: Ninett Hirsch
„Es gibt kein: ‚Oh, heute nicht‘ – die Pferde warten. Immer!“
Am Morgen entspannt einen Kaffee am heimischen Fenster mit Ausblick auf die Pferde genießen. Autark entscheiden, was die eigenen Pferde fressen, wann sie auf welche Koppel kommen und ob die Temperaturen nach einer Decke schreien oder nach einem schattigen Mittagsplätzchen. Eine für Pferdebesitzer kaum zu übertreffende Wunschvorstellung, die sich in der Realität allerdings manchmal auch als Bürde entpuppen kann. Artgerechte Pferdehaltung bedeutet in den meisten Fällen: weitläufiger Auslauf – und das, wenn möglich, 24 Stunden am Tag. Alles auf die Bedürfnisse der Tiere ausgerichtet: optimale Bodenverhältnisse, auseinanderliegende Futterstellen, ständiger Wasserzugang, eine entsprechende Flächengröße, ausreichend Unterstellmöglichkeiten – die Liste ist lang. Die Fachliteratur und guten Ratschläge für Selbstversorger: noch viel umfangreicher.
Klare Devise: Herz über Kopf
„Um 05.00 Uhr morgens klingelt der Wecker. Nicht etwa, weil dann mein Arbeitstag beginnt, sondern weil mein erster Weg in den Stall führt“, berichtet Nathalie Kaiser, die ihre zwei Pferde aus einem Pensionsstall mit Vollversorgung in Haltung direkt neben ihr Haus umgestellt hat. 24 Stunden Pferdeversorgung in Eigenregie. „Anfangs gar kein Problem“, erinnert sie sich, „denn es war Sommer und die Pferde somit sieben
Tage die Woche 24 Stunden draußen.“ Doch dann kam der Winter. „In aller Früh füttern, je nach Wetter eindecken, Paddock reinigen und das Futter für mittags vorbereiten. Danach heißt es, sich beeilen, sich für die Arbeit umziehen und ab auf den Berg. Mittags kann ich mich dankenswerterweise in Sachen Füttern auf meinen Vater verlassen. Abends heißt es dann wieder: ab in die Stallklamotten und Pferde begrüßen – egal, wie hart der Tag war und welche Gemeinheiten das Wetter veranstaltet. Es gibt kein: ‚Oh, heute nicht‘ – die Pferde warten. Immer!“, erklärt die Seilbahntechnikerin. Der eigene Feierabend beginnt für Nathalie nach Stallarbeit und Reiten meistens erst gegen plus/minus 21.00 Uhr. Am nächsten Tag geht das Ganze wieder von vorne los.
Stellt sich die Frage: Warum macht man das?
„All das ist ein Kindheitstraum. Auch wenn der Traum manchmal wirklich gar nicht traumhaft ist und die Arbeit überwiegt. Aber ganz ehrlich: Was ist schöner, als aufzustehen, aus dem Fenster zu schauen und die eigenen Pferde beobachten zu können? Davon träumt doch jedes Pferdemädchen! Für uns gibt es nichts Schöneres. Und so verrückt es klingt: Ich würde nie wieder in einen Stall als Einsteller zurückwollen. Meine Motivation sind meine Pferde, die mir an freien Tagen und im Sommer zeigen, wofür ich den Winter über gekämpft habe“, beschreibt die Schwarzwälderin den mutigen Schritt hin zum Selbstversorger.

Ninett Hirsch setzt auf ein bewusstes Weidekonzept und Möglichkeiten, den Naturschutz und die Artenvielfalt trotz Beweidung zu fördern.
Foto: Kim Goertz
Nicht selten heißt es für Pferdehalter, Wasser aus dem heimischen Hahn in Kanister abfüllen und auf die Weide schleppen, da es dort keine Selbsttränken oder beheizbare Tröge gibt. In der schlechten Jahreszeit kann so mancher Selbstversorger an einer Hand abzählen, wie oft er in einem Monat das eigene Pferd satteln konnte, denn oft fehlt hierfür eine beleuchtete Reithalle oder der Reitplatz in der Nähe – geschweige denn die Zeit neben der Stallarbeit. Pferde in Eigenregie zu halten, bedeutet viel Organisation, Planung und auch finanzieller Aufwand, um im besten Fall vor dem Umzug der Vierbeiner ein artgerechtes Unterbringen gewährleisten zu können.
Welches Haltungskonzept ist das richtige?
ekor-Leserin Franziska Mühlberg war lange auf der Suche nach einem Stall, in dem natürliche Pferdehaltung im Vordergrund steht. Das Konzept des Paddock Trails entsprach von Beginn an ihrer Idealvorstellung. Außerdem reizte sie der Gedanke, selbst entscheiden zu können, wie gemistet wird, wie viel Heu zur Verfügung steht und dass genügend Auslauf da ist, ohne dass die Pferde im Matsch versinken. „Halle oder perfekter Reitplatz spielen für mich eine untergeordnete Rolle. So traf ich die Entscheidung, selbst zu bauen, um mich nicht mehr unpassenden Haltungsbedingungen beugen zu müssen“, erinnert sich die heutige Hofeigentümerin. So wurden Bauanträge gestellt, und nach 2,5 Jahren Papierkrieg und Behördengängen rollten endlich die Bagger auf ihren Hof in der Oberpfalz.
„Schritt für Schritt entsteht langsam mein persönliches Pferdeparadies. Den Stall gibt es mittlerweile seit drei Jahren“, erzählt die in der alternativen Tiermedizin Selbstständige, die neben den Pferden auch noch Familie und weitere Tiere am Hof zu versorgen hat. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht überlege: ‚Was könnten wir noch optimieren? Was wäre noch besser für die Pferde?‘“, beschreibt Franziska ihre unermüdliche Motivation.
Mittlerweile erstreckt sich ihr Pferdeparadies über einen Paddock Trail auf insgesamt 1,3 Hektar. „Eigentlich noch zu wenig für fünf Pferde, aber in meinen Augen perfekt und optimal gestaltet“, erklärt die Macherin. Die Pferde haben bei Franziska matschfreie Wege, verschiedene Untergründe und mehrere Fressstellen, damit jedes Pferd stressfrei fressen kann. Zudem gibt es Lauf-Anreize am Trail. „Es wurden bestimmt 60 bis 70 Pflanzen und Bäume gepflanzt, damit die Pferde noch mehr Schattenplätze haben. Natürlich alles pferdegerechte und ungiftige Pflanzen wie verschiedene Wildrosen, Weißdorn, Hopfen, Birken und vieles mehr.“
Auf die Frage, wie viel Zeit man als Selbstversorger investiert, lacht die Hofbesitzerin: „Viel! Mindestens drei bis vier Stunden täglich. Ich miste zwei- bis dreimal täglich – und das seit drei Jahren, bei jedem Wetter. Die Pferde interessiert es nicht, ob es stürmt oder schneit. Oder die Fliegen auch uns Menschen ärgern. Sie wollen einen sauberen Schlafplatz und frisches Futter – bei jedem Wetter. Die Lösung: optimale Kleidung, ein sehr starker Wille und eine positive Einstellung. Ich mache es von Herzen gerne, vor allem, weil ich sehe, wie glücklich die Pferde sind.“ Franziskas Lohn der ganzen Arbeit: „Die Pferde geben so viel Liebe zurück. Das ist für mich ein großer Unterschied im Vergleich zum Einstellen auf einem fremden Hof. Die Bindung ist einfach eine ganz andere. Man kommt nicht nur zum Reiten und sagt gleich wieder tschüss“, beschreibt die Pferdefrau die Faszination Pferdehaltung.

Foto: Leonie Minten
Naturschutz und artgerechte Pferdehaltung
Wie passen Naturschutz und artgerechte Pferdehaltung zusammen? Leiden die Weideflächen und die Artenvielfalt von Flora und Fauna aufgrund der Haltung von Großvieh?
Ninett Hirsch betreibt mittlerweile auf ihrem eigenen Hof die „Weidelandschaft Glindow“, bestehend aus einer Haltergemeinschaft mit sieben Pferden und zwei Kühen in extensiver Ganzjahreshaltung auf zehn Hektar. Sie möchte beweisen, dass Naturschutz und artgerechte Pferdehaltung keinen Widerspruch bedeutet. „Unser Ziel ist, eine artgerechte Pferdehaltung mit der Förderung von Artenvielfalt zu verbinden. Dazu gehören unter anderem die Mischbeweidung mit Rindern, selektive Entwurmung, der Verzicht auf Chemie, Mineraldünger und die Förderung von Strukturvielfalt, beispielsweise in Form von aufkommenden Gehölzen auf den Weideflächen“, berichtet Ninett, die Landschaftsnutzung und Naturschutz studiert hat und sich auch von Berufs wegen im Naturschutz engagiert. „Ich arbeite hauptberuflich beim Naturschutzfonds Brandenburg und sehe mich als Vermittlerin an der Schnittstelle zwischen Pferdehaltern und Naturschützern. Wir wollen mit unserem Offenstall andere Pferdehalter in Haltergemeinschaften und Selbstversorger inspirieren sowie Naturschützern zeigen, dass wir auch mit normalen Hauspferden Naturschutz betreiben können und nicht alles schlecht ist, was Pferdehalter machen“, erklärt Ninett, die selbst seit 2011 den Araber-Wallach Assan ihr Eigen nennt.
Der Traum vom eigenen Pferd wurde zunächst zum Albtraum
„Mir war vorher nicht klar, dass es so schwierig sein würde, eine artgerechte Pferdehaltung als Einsteller zu finden. Statt über Wiesen zu galoppieren und durch Wälder und Felder zu streifen, musste ich mir ständig Sorgen um das Wohlergehen meines Pferdes machen. Alltägliche Fragen wie: Bekommt es zu wenig Futter? Sind Giftpflanzen wie Jakobskreuzkraut oder Graukresse auf den Wiesen vorhanden? – gepaart mit ständiger Herdenunruhe durch Pferde-Auszüge und Eingliederungen und Verletzungen zeigten mir die Schattenseite der Pferdehaltung“, erinnert sich Ninett an ihr Leben als Neu-Pferdebesitzerin.

Artgerechte Haltung und passende Artgenossen. Auf dem Vordermühlen Hof von Linette Kempf und ihrer Mutter Arendina Schuster steht das Wohl der Tiere an erster Stelle, auch wenn das viel Arbeit bedeutet.
Foto: Nicola Behr
Im Sommer 2018 folgte dann tatsächlich das Zerwürfnis mit dem damaligen Stallbetreiber, weil die Naturschützerin das Abschlagen von Schwalbennestern nicht in Kauf nehmen wollte. Heute ist Ninett froh, dass sie dieser Vorfall zur Notwendigkeit gezwungen hat, eigene Wege zu finden. „Nach dem Rauswurf aus dem Stall und der damit verbundenen Krise für Assan und mich begann glücklicherweise ein Neuanfang in Glindow für uns“, erinnert sie sich. Heute dient das Projekt dazu, anderen Pferdehaltern in Eigenregie Mut zu machen und sich Anregungen zur Bepflanzung und Beweidung zu holen, ohne dass die Flora und Fauna durch die Pferde großen Schaden nimmt.
Zudem gehe es darum, Nutzungsinteressen von Landwirtschaft mit Themen des Naturschutzes zusammenzubringen und als positiven Nebeneffekt die Folgen des Klimawandels etwas abfedern zu können. „Artenvielfalt und das richtige Beweidungskonzept auf großen Flächen nutzen der Bodenqualität und helfen beispielsweise, Wetterextremen wie Dürren oder Starkregen etwas entgegenzusetzen. Ein funktionierender Mikrokosmos, zu dem auch Insekten gehören, trägt hierzu maßgeblich bei“, erklärt die Naturschützerin.
„Wir haben als Pferdehalter in Eigenregie die Verantwortung sowie die Möglichkeiten, dem Artensterben etwas entgegenzusetzen – auch auf kleinen Flächen. Man kann mit kleinen Dingen schon vieles verändern, allerdings darf man sich keine Illusionen machen. Eine artgerechte und für die Artenvielfalt sowie den Naturschutz zuträgliche Weidefläche zu schaffen, dauert Jahrzehnte. Umso wichtiger ist, dass sich jeder Selbstversorger schon heute damit auseinandersetzt und mit kleinen Schritten beginnt“, ist sich Ninett Hirsch sicher. Als erste Impulse, die eigene Stall- und Wiesenanlage Richtung Artenvielfalt zu optimieren, empfiehlt sie beispielsweise, kleine Bereiche auch mal abzuzäunen, sodass sie von den Pferden unangetastet die Chance haben, sich wild zu entwickeln. Außerdem sei es ratsam, Bäume zu pflanzen oder Wildhecken als Abtrennungen zu nutzen und auch Totholz als Abgrenzung liegen zu lassen. „Strukturen schaffen ist das A und O bei diesem Thema. Ich denke, jeder kann und sollte hier seinen Teil beitragen“, appelliert die Betreiberin des Blogs Artenvielfalt Pferdeweide für ihr Herzensthema als Pferdehalterin.
„Wenn wir Pferde wären, würden wir auch gerne hier leben“

Schritt für Schritt zum Pferdeparadies: auf dem Hof von Franziska Mühlberg existieren viele Bewegungsanreize auf dem Paddock Trail.
Foto: Privat
Das ist das Motto von Linette Kempf und ihrer Mutter Arendina Schuster. Gemeinsam betreiben die zwei Frauen mit ihren Familien den Vordermühlen Hof in Wipperfürth. Ihr erklärter Ansporn: „Der Hof soll so sein, dass, wenn wir Pferde wären, wir auch hier leben wollten!“ Und tatsächlich fällt einem beim Betrachten der weitläufigen Wiesen nur eines ein: Idylle pur. In zwei Generationen leben sie ihren Traum, wohlwissend, dass dies tagtäglich viel Arbeit bedeutet und alle mit anpacken müssen. Umfasst ihre stattliche Herde schließlich nicht weniger als acht Shire Horses, einen Norweger-Friesen-Mix, ein Shetlandpony und zwei Esel.
„Seit ungefähr 15 Jahren haben wir eigene Pferde. Angefangen haben wir mit einem Shire Horse im Pensionsstall, sind dann aber bereits nach einem Jahr Selbstversorger geworden. Die Selbstbestimmtheit in Sachen Haltungsbedingungen war dabei ausschlaggebend. Besonders bei solch einer Rasse wie den Shire Horses. Da müssen die Dimensionen einfach andere sein“, erklären die zwei Frauen, die mit ihren Pferden auch in Deutschland auf der ein oder anderen Pferdeveranstaltung zu sehen sind. „Wir lieben es, dass wir alles so machen können, wie wir es für richtig halten. Heu machen wir selbst und Stroh kaufen wir zu. Wir haben einen eigenen Reitplatz und ein Roundpen. Unsere Pferde haben zusätzlich Reit- oder Pflegebeteiligungen, um die passende Bewegung zu gewährleisten, was zu zweit natürlich nicht machbar wäre“, beschreiben die Hofbetreiber. Aufgrund der besonderen Bedürfnisse der Esel und des Ponys bilden „die Kleinen“, wie ihre Besitzer sie liebevoll nennen, eine eigene kleine Wohngemeinschaft. Die neun anderen leben im Sommer 24 Stunden auf einer über fünf Hektar großen Weide mit zwei Raufen, die immer mit Heu befüllt sind. Im Winter dürfen „die Großen“ auch auf eine Weide und nachts in geräumige Boxen.
„Die Kleinen“ haben tagsüber einen Paddock und nachts jeder eine Box. „Die Arbeit rentiert sich jeden Tag. Wir würden dieses Lebenskonzept für uns und die Tiere niemals mehr missen wollen. Und ja, Idylle pur trifft es ganz gut, denn dann stimmt unser Konzept und den Tieren geht es gut. Einzig dafür machen wir es“, resümieren die Pferdefrauen.

Haflingerstute Ladina und Vollblutwallach Honos dürfen mittlerweile ihr Leben direkt am Haus von Besitzerin Nathalie Kaiser genießen.
Foto: Privat
Mutig sein und einfach mal machen
In Nordrhein-Westfalen liegt der Resthof von Lena Graßhoff und ihrem Mann. Ihre Geschichte begann vor knapp acht Jahren mit dem Kauf des Hofs in Vlotho. Zu der Zeit nannte Lena eine Warmblutstute ihr Eigen, die in einem Pensionsstall eingestellt war. „Motiviert von den leider eher nicht artgerechten Haltungsformen in vielen Pensionsställen, starteten wir mutig unser Projekt. Nach und nach, verbunden mit viel Arbeit und auch einigen Rückschlägen, ermöglichte ich mir mit der Unterstützung meines Mannes den Traum vom Selbstversorger-Stall. Ich verwirklichte die artgerechte Haltung, wie ich es mir von vielen Ställen gewünscht hätte“, erinnert sich die Pferdebesitzerin. Heute lässt sie der Anblick von zufriedenen, ausgeglichenen Pferden die ganze Arbeit der letzten Jahre vergessen und motiviert jeden Tag aufs Neue, den Pferden eine pferdefreundliche und verlässliche Haltungsform zu bieten. „Wir haben eine stabile Herde mit 24/7-Auslauf im befestigten Offenstall, Heu zur freien Verfügung, Totholzhecke und ein Knabberbeet zur Beschäftigung, genügend Schlafplätze und ausreichend Wiese. Was will Pferd und Mensch mehr! Ich bin stolz, was wir bis hierhin geschafft haben, und freue mich auf die Umsetzung vieler weiterer Ideen! Ich kann nur sagen: Mut und Leidenschaft zahlen sich aus – und das nicht nur bei dem schönsten Hobby der Welt“, ist sich Lena sicher.
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