Kraft aus Leidenschaft
Im Spitzensport sind Hengste viel und gern gesehen. Doch warum umgibt sie im Freizeitreitbereich oft ein negativer Ruf? Pferdetrainerin Saskia Limbeck erzählt von ihrer Herausforderung, die mehr mit Menschen zu tun hat als mit ihren zwei Hengsten.
Autorin: Ines Vollmer

Foto: Franziska Heinritz Fotografie
„Tatsächlich zweifle ich nur an den Menschen.“
„Bist du verrückt? Warum gehst du immer wieder so ein Risiko ein?“ oder „Ach, die kennen sich doch, das kannst du ruhig machen.“ – Das sind nur zwei Extreme, die Saskia Limbeck ungefragt mindestens einmal im Jahr zu hören bekommt. Die 35-jährige Pferdetrainerin agiert nicht etwa als Stuntreiterin oder arbeitet speziell mit Problempferden, was man bei diesen Aussagen annehmen könnte, sondern ist Hengsthalterin. Ihr Vollblutaraber-Hengst Malik begleitet sie bereits seit seiner Geburt. Damals lebte Saskia noch auf dem Vollblutaraber-Gestüt ihres Vaters und wuchs mit der Pferdezucht auf. So war es an der Tagesordnung, dass sie mit Stuten und eben auch viel mit Hengsten agierte. Wallache gab es, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit im Pferdeverkauf.
„Ich erinnere mich, dass es schon damals schwierig war, Hengstfohlen zu verkaufen, wenn die zukünftigen Besitzer nicht selbst züchten wollten oder es sowieso geplant war, dass ein Hengstjährling zunächst in eine Aufzuchtherde mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen kam“, berichtet Saskia. Bei den Fohlen aus Maliks Geburtsjahr 2007 kam es dann auch so, dass sie dreijährig kastriert werden sollten, damit ihre Chancen auf ein neues Zuhause stiegen. Als Malik an der Reihe war, sagte der Tierarzt jedoch, dass er noch ein wenig reifen solle, bis er auch gelegt werden könne, erinnert sich Saskia. So kam der schwarze Vollblutaraber-Hengst ins Reitpferdealter und Saskia nahm sich seiner Ausbildung an. Der Rest ist Geschichte: „Ich habe ihn als Hengst ausgebildet und natürlich mit jedem gemeinsamen Tag mehr in mein Herz geschlossen und irgendwann auch nicht mehr hergegeben“, berichtet die heutige Trainerin von der Wendung des Schicksals, als Malik ihr Eigen wurde. Heute ist ihr Hengst stolze 18 Jahre alt und seit jeher an ihrer Seite.
„Durch Malik fand ich den Zugang zum vertrauten Arbeiten am Boden, der feinen Kommunikation in der Freiarbeit, dem Spaß an zirzensischen Lektionen, dem Reiten ohne Gebiss und vielem mehr. Mein Blickwinkel und Verständnis für die Welt der Pferde hat sich seitdem sehr verändert. Ich nehme die Dinge nicht mehr einfach als gegeben hin, sondern hinterfrage, vergleiche und probiere Neues. Ich folge keiner vorgegebenen Struktur oder Arbeitsweise, sondern suche mir aus allem, was ich sehe, das raus, was am besten zu uns passt. So baue ich mir meinen eigenen Stil mit dem Leitfaden: Horses & Humans in Harmony“, erzählt Saskia, die mittlerweile auch viele Pferdebesitzer mit ihren Pferden im Freizeitbereich unterstützt.
So entschied sie sich im Jahr 2020 für ein selbstgewähltes Ausbildungsprojekt und holte zwei spanische Hengste nach Deutschland, um sie nach ihrem Credo auszubilden und einen von beiden weiterzuvermitteln. „In den Monaten der Ausbildung hatte ich Zeit, beide Pferde intensiv kennenzulernen, und entschied mich dann, Espado, einem der beiden PRE-Hengste, ein neues Zuhause bei Malik und mir zu schenken“, erinnert sie sich. Dass Espado mit Malik zusammenleben sollte, stand für sie dabei von Beginn an fest. Malik war vorher bereits jedes Jahr auf dem Gestüt mit einem Junghengst sozialisiert worden, sodass dieses Prozedere für Saskia und ihren Hengst nicht neu war. Demzufolge zog der goldfarbene PRE-Hengst zu dem Vollblutaraber-Hengst und dem damaligen Beistellpony-Wallach, der unter anderem auf dem väterlichen Gestüt dem Zweck der Sozialisierung der Nachzucht diente.
Im vergangenen Jahr musste die junge Mutter dann nach Auflösung des Gestüts nicht nur selbst ein neues Zuhause suchen, sondern auch für ihre bis dahin bei ihrem Vater auf dem Gestüt lebenden Hengste eine neue Unterbringung finden. „Ich hatte natürlich bereits im Vorfeld immer mal Augen und Ohren offengehalten und mich mit dem Thema der Unterbringung meiner Pferde abseits des Gestüts auseinandergesetzt“, erinnert sich Saskia. „Demnach stand fest: Es wird schwierig. Als es dann so weit war, wurde aber klar: Es ist nicht nur schwierig, sondern nahezu unmöglich.“ Glücklicherweise ergab sich nach vielen schlaflosen Nächten, in denen unter anderem auch der Worst Case – die Kastration von Espado – im Raum stand, die Möglichkeit, bisheriges Weideland des Gestüts zu übernehmen und dort einen eigenen Offenstall zu errichten. Hengste in Pensionsställe einzustellen, allein schon Hengste halten zu wollen, bringt für die Halter kaum überwindbare Hürden mit sich – wie Saskia Limbeck nicht nur in dieser Situation erfahren musste.

Eine vertrauensvolle Einheit: Saskia Limbeck mit ihren zwei Hengsten Espado und Malik.
Foto: Jenny Riedel
Auf den Blickwinkel kommt es an
Woher kommt die Angst, der Respekt und der vermeintlich schlechte Ruf, der Hengste in der Freizeitreiterszene oft umgibt? „Allgemein, denke ich, schwingt natürlich die Angst mit, dass Hengsthalter ihre Pferde nicht unter Kontrolle haben. Für mich persönlich ist eines der wirklich kniffligen Szenarien, wenn der Reiter beispielsweise im Gelände runterfällt und der Hengst eben nicht einfach nach Hause läuft oder zum nächsten Grasbüschel, sondern zur nächsten Pferdeweide“, sagt Saskia. „Leider hört man in diesem Zusammenhang von Fällen, bei denen Hengste weggelaufen oder ausgebrochen sind und Stuten unkontrolliert gedeckt haben – und im schlimmsten Fall Fohlen abgespritzt werden mussten und beide Pferde zusätzlich verletzt waren. Solche Vorkommnisse sind tödlich für den Ruf von Hengsten.“
Das eigentliche Problem sei vermutlich, dass sich Menschen überschätzten und die Haltung und den Umgang mit Hengsten unterschätzten, resümiert die erfahrene Hengsthalterin. Neben dem unabdingbaren Fachwissen müssen auch Zäune und Stallgegebenheiten auf die Haltung von Hengsten ausgelegt sein.
„Leider bleiben Negativerfahrungen – wie immer im Leben – besser in den Gedächtnissen der Menschen als das viele Positive. Natürlich ist es aber auch nicht einfach! Man kann die Haltung und den Umgang mit Hengsten nicht mit dem von Wallachen oder Stuten vergleichen. Es ist alles machbar, aber man muss bestimmte Dinge beachten“, weiß Saskia. Und weiter: „Man kann Pferdehaltung im Grunde mit dem Rest des Lebens vergleichen. Die meisten Menschen sind darauf bedacht, es sich gerne einfach zu machen. Das ist aber in der Haltung von Hengsten nicht umsetzbar, wenn man den Pferden ein artgerechtes und gutes Leben bieten möchte“, erklärt die Pferdetrainerin.
So wisse ihr Hengst Espado beispielsweise gar nicht, dass er Hengst sei: „Er benimmt sich absolut nicht hengstig und ist von seinem Typ her sehr sozial und herdenverträglich. Malik jedoch weiß, dass er Hengst ist und muss in der Haltung sehr bedacht auf seinen vorherrschenden Hormonstatus gemanagt werden“, beschreibt Saskia die Sachlage. So können ihre Hengste im Winter nur auf benachbarten Paddocks, jedoch nicht gemeinsam gehalten werden. Problem: Direkt auf der Nachbarkoppel werden Stuten gehalten.
„Die Nähe zu den Stuten würde Malik verleiten, sich dementsprechend hengstig gegenüber Espado zu verhalten, um Anspruch ‚auf seine Stuten‘ zu erheben“, weiß die 35-Jährige zu berichten. Nebeneinander gehalten und auch bei der gemeinsamen Arbeit oder am Führstrick verhalten sich die zwei jedoch absolut verträglich und kennen sich. „In den Wintermonaten haben wir so eine humane Lösung gefunden, dass die beiden lediglich durch einen Zaun getrennt, aber in Gesellschaft des anderen leben können. Ohne die Stuten wäre es ansonsten sehr unkompliziert und auch ohne Abtrennung möglich. Da wir aber eben mit den Bedingungen vor Ort leben müssen, versuche ich immer, das Beste für meine Pferde daraus zu machen“, erklärt Saskia.
Mit Fingerspitzengefühl
Die Herausforderung in der Haltung ihrer zwei Hengste besteht deshalb im Frühjahr beziehungsweise der Weidesaison darin, die beiden wieder mit viel Fingerspitzengefühl, ausreichend Zeit und vor allem mit viel Platz und abseits von Stuten – zusammenzuführen. „Wenn es gen Sommer geht und sie auf die Sommerkoppeln sollen, spule ich tatsächlich täglich das Programm ab: Wir fahren die Hormone runter, indem die Hengste erst einmal außer Sicht-, Riech- und Hörweite der Stuten kommen. Dann dauert es nochmal ein paar Wochen, in denen sie nach wie vor nebeneinanderstehen und ich sie vermehrt gemeinsam arbeite. Damit intensiviere ich den Kontakt und sie merken, dass sie doch voneinander abhängig sind“, erklärt Saskia ihren jährlichen Weg, die Hengste wieder zu vergesellschaften. Und weiter: „Und dann kommt trotzdem der Moment, in dem ich ein Risiko eingehe und beide ohne Zaun zusammenstelle, in dem natürlich auch ich nicht weiß, ob es klappt oder es noch Zeit bedarf. Wenn es schiefgeht, ist es mein Risiko. Natürlich kennen sich die beiden, aber es sind eben Hengste unter sich. Mit jedem Jahr lerne auch ich dazu – und meine Pferde noch besser kennen.“
Bei Hengsthaltern beispielsweise, die einen Hengst in eine reine Stutenherde oder Wallachherde ohne Konkurrenz integrieren wollen, handele es sich wieder um eine ganz andere Situation, weiß die Pferdefachfrau zu berichten. Dies sei beispielsweise vergleichbar mit einer Hundebegegnung mit einem kastrierten und einem unkastrierten Rüden. Die Tiere wüssten unter anderem durch den Geruch, das Gegenüber einzuschätzen und ob von dem Tier Konkurrenz ausgehe. „Es ist wirklich interessant, denn mit unserem damaligen Beistellpony-Wallach musste ich zum Beispiel nie eine Zusammenführung mit Malik machen. Den hat er links liegen lassen. Völlig ohne Imponiergehabe, da er für ihn 0,0 Prozent Konkurrenz darstellte“, so Saskia weiter.

Saskia fasziniert die Leidenschaft der Hengste und ihr ‚Will to please‘ – sowohl im täglichen Umgang als auch in der Arbeit mit ihnen. Hier ihr Hengst Espado.
Foto: Nicola Kassat
„Leider bleiben Negativerfahrungen – wie immer im Leben – besser in den Gedächtnissen der Menschen als das viele Positive.“
„Hengsthalter sind eigentlich immer schuld“
Auf die Frage, ob es mal einen Punkt gab, an dem sie an ihrer Entscheidung für die Hengsthaltung gezweifelt habe, schüttelt Saskia den Kopf: „Nein, tatsächlich zweifle ich nur an den Menschen.“ Es sei so wichtig, dass gerade unter Pferdemenschen ein Verständnis herrsche – auch gegenüber Hengsthaltern. Beide Seiten seien in der Verantwortung, und das kommunikative Miteinander sei – wie immer im Leben – entscheidend.
„Ich erinnere mich an die für mich vermutlich schlimmste Situation bisher. Es war Sommer und meine beiden standen bereits vergesellschaftet gemeinsam auf ihrer Sommerkoppel. Leider hatte dann jemand eine Stute von ihrer Herde separiert und einzeln auf die Nachbarkoppel meiner Pferde gestellt. Die Stute hat logischerweise bis in die Nacht hinein nach ihrer Herde gewiehert. Dann ist die Situation gekippt und Malik hat sich extrem hochgeschaukelt. Ich war damals im achten Monat schwanger und stand im Dunkeln um halb zehn Uhr abends allein der anderen Person gegenüber und habe darum gebeten, ob die Stute erstmal woanders hinkommen könne, bis ich am kommenden Tag eine Lösung hätte“, erinnert sich Saskia. „Nichts zu machen. Ich bekam nur die Antwort: Sie sind doch die Hengsthalterin. In dem Moment dachte ich nur: Wie unmenschlich kann man sein – nicht nur mir gegenüber, sondern auch den Pferden. Ich hatte Angst, dass ich Malik in die Klinik fahren muss, weil er vor lauter Aufregung eine Kolik bekommen könnte. In diesen Situationen zweifle ich, ja. Jedoch nicht an meiner Hengsthaltung, die ich bereits jahrelang betreibe“, resümiert die junge Mutter.

Foto: Privat
Warum also Hengsthaltung?
Was ist die Faszination und die Leidenschaft, die Hengsthalter antreibt? „Aus meiner Arbeit mit unzähligen Pferd-Menschen-Paaren wie auch dem täglichen Umgang mit meinen Hengsten kann ich sagen, dass mich die Leidenschaft der Hengste und ihr ‚will to please‘ einfach nur fasziniert. Sie lernen sehr viel schneller als Stuten oder Wallache und zeigen eigentlich wirklich nie Verhaltensweisen, die das Training behindern. Die typische Stutenzickigkeit, Sturheit oder lethargische Unlust sind für Hengste meiner Erfahrung nach Fremdwörter. Sie sind immer motiviert, sehr gelehrig und extrem aufnahmefähig – teilweise richtige Streber“, erklärt Saskia lachend, und: „Sie sind außerdem einfach wunderschön. Wenn ich Hengste in der Freiarbeit sehe, verzaubern sie mich jedes Mal. Pure Eleganz, aber auch Leidenschaft in ihrem besonderen Ausdruck.“
Mit den unzähligen ungefragten Ratschlägen, Kommentaren und der Kritik der sogenannten „selbst ernannten Richter an der Bande“ sehen sich Hengsthalter nach Saskias Erzählungen noch mehr konfrontiert als Reiter generell. Trotzdem zeigt Saskia ihr Training sowie ihren Alltag mit ihren Hengsten unter anderem auf Instagram. „Ich bereue nichts und würde mich immer wieder für meine Hengste und die Haltung in Eigenregie entscheiden. Für mich war von Anfang an klar – und das ist auch heute noch meine Überzeugung: Sobald das Leben für meine Hengste nicht mehr lebenswert wäre, würde ich nie zögern, sie zugunsten eines besseren Lebens kastrieren zu lassen. Aber – und das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen – es wäre für mich und in unserem individuellen Fall wie eine Schönheitsoperation: unnötig. Nur, um mir das Leben und die Haltung leichter zu machen, ist mir das gesundheitliche Risiko einfach viel zu groß. Mittlerweile stünde es für Malik mit 18 Jahren auch nicht mehr zur Debatte, und Espado benimmt sich auch so schon wie ein Wallach“, macht Saskia ihren Standpunkt deutlich.
Jemand, der sich einen Hengst anschaffen möchte und Saskia nach einem Ratschlag fragt, bekäme deshalb eine klare Antwort: „Welche Voraussetzungen hast du für das Pferd?“ „Außerdem käme es darauf an, wer fragt“, erwidert Saskia lachend. „Hat die Person zu viele Pferdefilme geschaut oder wirklich das Know-how, solch eine Verantwortung tragen zu können? Wenn die Antworten positiv ausfallen – ohne das kleinste Aber: Go for it! Derjenige wird es definitiv nicht bereuen. Realistisch betrachtet haben aber leider die wenigsten Menschen im Freizeitbereich die passenden Voraussetzungen. Wenn das Pferd am Ende leidet, wären wir wieder beim Thema: Hat der Hengst noch ein lebenswertes Leben? Nur darauf sollte die Entscheidung für einen Hengst – ohne menschlichen Egoismus – objektiv beantwortet werden“, schließt Saskia Limbeck ihr Appell für die Hengsthaltung.

Foto: Privat
Expertin
Saskia Limbeck ist Pferdetrainerin und gibt Unterricht in Bodenarbeit, Freiarbeit, Zirkuslektionen, klassischer Handarbeit sowie gymnastizierender Boden- und Longenarbeit.
Sie ist zudem Physiotherapeutin – sowohl für Menschen als auch für Pferde – und hat 2024 erfolgreich die Bodenarbeits- und Longenprüfung der Akademischen Reitkunst absolviert.
Mit ihrem Vollblutaraber-Hengst Malik hat Saskia bereits Distanzritte von bis zu 80 Kilometern absolviert und an zahlreichen Wettkämpfen im Distanzsport teilgenommen.
Außerdem hat die 35-Jährige selbst an unzähligen Kursen und Lehrgängen teilgenommen, um ihr Wissen und Können weiterzuentwickeln, beispielsweise bei Marius Schneider, Arien Aguilar und Nuno Avelar. Zudem war Saskia bereits Teil von Vorführungen auf Reitsportmessen und beim Mustang Makeover.
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