Kommunikation zwischen Pferd und Mensch

1. März, 2021 | Ausgabe I/2021, Ein Team., Ein Team. [I/2021]

Einer der interessanten Gründe mit Pferden kommunizieren zu wollen ist, dass sie relativ unverblümtes Feedback geben und zwar körperliches. Da man ja bekanntlich nicht nicht-kommunizieren kann, ist die Frage also: Was verstehen wir von der Kommunikation des Pferdes als Reaktion auf uns? Dafür müssen wir ein echtes Interesse an den Antworten des Pferdes haben und nicht vorgefertigte Meinungen darüber was richtig und was falsch ist.
Eine interessante Kommunikation ist ein Gespräch, bei dem beide Gesprächspartner ihre Meinung haben, diese äußern, die Meinung des Anderen anhören, ernst nehmen, sich überzeugen lassen oder auch nicht. Es gibt Streitgespräche, Small talks, entspanntes Erzählen, erklärende und entspannende Gespräche, man kann sich auch mal streiten, aber fair sollte es bleiben. Genau so ist es mit Mensch und Pferd, nur eben non-verbal.

„Freundschaft kann sich ergeben und folgt meist aus gemeinsamen Erfahrungen.“

Wie kann die Kommunikation freundschaftlich und respektvoll gestaltet werden?
Tamina Pinent: Freundschaft kann sich ergeben und folgt meist aus gemeinsamen Erfahrungen, in denen sich beide freundschaftlich verhalten haben. Respekt kann man sich verdienen. Gehorsam kann man einfordern – Respekt nicht.

Ich respektiere ein Pferd, wenn ich es als das wahrnehme was es ist: ein (meistens erwachsenes) Individuum mit Instinkten, Lebenserfahrung, Intelligenz und Kooperationsbereitschaft. Es ist stärker, wacher, schneller als ich und weiß besser als ich, was ein Pferd wie macht.

Das Pferd respektiert mich, wenn ich mich selbst respektiere, souverän bin, klare Gedanken habe, planvoll vorgehe und erkenne, wann das Pferd Bedenken äußert, um ihm dann gute Lösungen zu geben.
Beispiel: Ich sitze auf meinem Pferd und schlage vor, dass es loslaufen soll. Das Pferd tut dies auch und trabt fröhlich los. In der Reithalle naht aber schon bald die erste Wand und es muss abwenden. Das Pferd tut dies, indem es sein Gleichgewicht in Bewegungsrichtung auf die innere Schulter verschiebt. Um nicht umzufallen nimmt es Hals und Kopf nach außen, um dann in die neue Richtung weiter geradeaus zu laufen. So würden die allermeisten Pferde auf der Weide abwenden. Nun hört so ein Hufschlag oder gar Zirkel aber nie auf und es wird ein unnatürlich langes Abwenden. Das bringt unser Pferd aus dem Gleichgewicht und es wird unsicher und verspannt sich. Manche Pferde werden dann langsamer, andere schneller, andere heben den Kopf im Bestreben ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

So, und jetzt kommt unsere Kommunikation ins Spiel. Wir können sagen: „Du sollst nach innen gucken und langsamer/schneller laufen, weil das richtig ist.“ Mit diesem Gedanken käme man auf die Idee den Kopf des Pferdes nach innen zu ziehen, es somit noch mehr aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dabei hätten wir die Lösung des Pferdes für das Problem zu unterbinden versucht (nach außen gucken um nicht nach innen zu fallen, schneller oder langsamer laufen) ohne eine bessere Lösung für sein Problem zu bieten. Wir hätten sein Problem verschlimmert weil wir in seinem Gleichgewichtsverlust auch noch auf ihm sitzen und seinen Kopf in dieselbe Richtung ziehen.
Oder ich sage: „Ich verstehe, dass Pferde in der Natur mit der Schulter voran abwenden, aber versuch mal die innere Schulter dabei anzuheben. Ich wette dadurch bekommst Du mehr Gleichgewicht und Kraft.“ Wir hätten einen Lösungsvorschlag für sein Problem, in das wir es überhaupt erst gebracht haben.

Wenn das Pferd unter dem Reiter sein Gleichgewicht verliert, egal ob beim Ausreiten oder in einer Reithalle, ist es unsere Zuständigkeit, das zu erkennen und zu beheben. Jedesmal wenn das Pferd einer Anweisung gutwillig folgt und seine Situation sich verbessert, wird es gerne wieder zuhören und uns für unsere guten Vorschläge respektieren. Wenn es durch unsere Anweisungen in Schwierigkeiten kommt, wird es immer widerwilliger tun was wir sagen, uns in Frage stellen, den Respekt vor unseren planerischen Fähigkeiten verlieren.
Ein Pferd sollte im Laufe der Erfahrungen mit uns, immer wenn es in Schwierigkeiten kommt, denken: Ein Glück ist mein Reiter dabei, der weiß immer eine Lösung, mit ihm bin ich stärker als ohne ihn. Im schlechten Fall denkt ein Pferd, das in Schwierigkeiten kommt: Ohjeh, und ich habe auch noch einen Reiter dabei, der stört, nimmt mir das Gleichgewicht, nimmt mir die Kraft und ist auch noch genervt.

Wie wichtig sind „Innere Bilder“ für die Kommunikation zwischen Pferd und Mensch?
Tamina Pinent: „Innere Bilder“ sind gut, weil es durch sie möglich ist, viele Einzelheiten in Kombination umzusetzen, ohne an jede explizit denken zu müssen. Ein schönes „Inneres Bild“ ist, dass der Takt, den das Pferd vorgibt, unsere gemeinsame Hintergrundmusik ist, unsere Filmmusik. Sie kann ruhig oder aufregend sein, aber sie sollte nicht abreißen, wenn wir uns gemeinsam bewegen. Wenn ich eine Hilfe geben möchte, ist das als würde ich mit einem neuen Instrument einsteigen, dann muss der Einstieg innerhalb dieses Taktes sein. Wie ein Duett. Wenn ich den Takt ändern möchte, dann sollte ich auch das nur so tun, dass die Musik keinen Bruch nimmt. Wie ein DJ von einem Lied ins nächste überleitet.

Wie lernen Pferde?
Tamina Pinent: Im Prinzip lernen Pferde wie alle Tiere inklusive Menschen. Sie probieren Verhalten aus, das was ihnen positives Empfinden bringt probieren sie in Variationen nochmal aus und das was ihnen Unbehagen beschert probieren sie weniger häufig erneut aus. Zum Glück haben Pferde ein Gespür für harmonische Bewegungen. Sie bewegen sich gerne reibungslos, kraftvoll und im Gleichgewicht. Zweites Glück ist, dass sie ein gutes Gespür für gute Stimmung haben. Sie haben es gerne wenn die Stimmung ausgelassen ist. Wenn wir durch unsere Anweisungen und unseren Ausbildungsplan die Geschmeidigkeit der Bewegung, ihre Kraft und Ausdruck verbessern können und dabei bewundernd und ohne zu stören dem Pferd folgen, ist das die Motivation zu lernen.

Warum ist ein gemeinsamer Kommunikationskatalog so wichtig?
Tamina Pinent: Wenn ich mit dem Pferd gemeinsam wachsen möchte brauche ich Vokabeln. Körpersprachliche Vokabeln, nicht Stimmsignale. Denn das ist die Sprache mit der das Pferd und ich zusammenkommen. Ich möchte auf ihm sitzen und beginne eine Bewegung auszuführen, um sie dann vom Pferd zu Ende ausführen zu lassen. Stimmsignale sind nicht schlimm und manchmal auch hilfreich aber tanzen wäre ja auch nicht halb so schön, wenn mein Tanzpartner mir jede Drehung, jede Bewegung ansagen würde. Es wäre eine Aneinanderreihung von Drehungen.

Wie entsteht ein gemeinsamer Kommunikationskatalog?
Tamina Pinent: Durch präzises Nachlassen der Signale und jeglicher Erwartungshaltung in dem Moment, wenn das Pferd beginnt in die richtige Richtung zu denken. Das kann in dem Moment sein, in dem es locker lässt und durchatmet oder in dem Moment, wenn es gedenkt sich in Bewegung zu setzen. Die Vokabeln dürfen nicht widersprüchlich sein, sie sollten eindeutig unterscheidbar sein, sie sollten nicht durch ihre Intensität die Bedeutung ändern und sie sollten so simpel wie möglich sein. Im Laufe der Ausbildung werden sie immer differenzierter, wie ein Entscheidungsbaum, der immer mehr Kombinationen beinhaltet, an jeder einzelnen Abzweigung aber nur simple zwei oder drei Antworten ermöglicht.

Wie lang sollten die Trainingseinheiten während der Kommandoschule sein?
Tamina Pinent: Kürzer als man meistens denkt. Drei bis fünf Wiederholungen. Dann zwei Minuten Pause. Also 15 bis 30 Minuten. Bei emotional sehr aufgebrachten Pferden muss man das erst einmal angehen und das kann natürlich länger dauern als konzentriertes Üben.

Warum sind Kommandos die Basis für feines Reiten?
Tamina Pinent: Kommandos hört sich etwas zu einseitig an. Der Austausch zwischen Mensch und Pferd ist eher mit der Kommunikation zwischen einem Architekten und einem Zimmermann zu vergleichen. Der Architekt plant und berechnet das Ganze, er kennt das Budget und das Gesamtvorhaben. Der Zimmermann gibt Rückmeldung, ob das so in der Praxis auch geht, ob alle Materialien zur Verfügung stehen, ob er eigene konstruktive Vorschläge hat und letztendlich ob es ihm gefällt.
Feines Reiten ist eine kultivierte Art sich auszudrücken und sich zuzuhören. Das geht nur wenn auch beide daran interessiert sind, und das geht nur, wenn man sich gegenseitig respektiert. Respekt nicht im Sinne von Gehorsam, sondern im Sinne von Anerkennung für die Fähigkeiten des Anderen.

Welches Lob sollte ich in der Ausbildung nutzen?
Tamina Pinent: Das tiefste, echteste und nachhaltigste Lob ist die intrinsische Belohnung, die reine Freude daran etwas zu tun. Die Freude daran etwas Schwieriges hinzubekommen, die Freude daran jemanden zu erfreuen, die Freude daran, wenn etwas mühelos geht, die Freude daran seine eigene Stärke zu spüren, die Freude daran sich schön und souverän vorzukommen.

Auch die Freude an Anerkennung ist dieser Art, wenn die Anerkennung echt ist und auf Augenhöhe. Vielleicht sind Pferde uns da ähnlicher als wir denken. Wenn ein Kollege „wow“ oder „nicht schlecht!“ sagt, bin ich motiviert. Wenn mir ein Kollege sagen würde „fein gemacht“ oder „so ist brav“ und mir dann den Kopf tätscheln, würde ich mich herabgesetzt fühlen.

Gleiches gilt für Futter. Ein kameradschaftliches Anbieten eines Kekses als Verdeutlichung davon wie gut etwas gerade gefallen hat, kann einen großen Effekt haben. Futterlob birgt aber die Gefahr, dass es die intrinsische Motivation verdrängt. Wenn ich jemandem ein Bild male und schenke, freue ich mich wenn die Person sich freut. Wenn sie mir einen Euro in die Hand drückt, könnte es sein, dass ich der Person viele Bilder male, um viele Euros zu kassieren. Meine Einstellung zu der Person hätte sich aber geändert und mein Respekt ihr gegenüber würde weniger, weil sie meine Freude daran ihr eine Freude zu bereiten nicht erkannt hat und ich nun auch nicht mehr deswegen male, sondern für die Bezahlung.

Gibt es grundlegende Kommandos?
Tamina Pinent: Es gibt grundlegende Regeln und grundlegende Vokabeln, ja.

Welche sind das?
Tamina Pinent: Regeln für Mensch und Pferd sind: Keiner berührt oder begrabbelt den Anderen ohne dessen Einverständnis bzw. wenn ein Abstand signalisiert wird, ist dieser einzuhalten. Wenn man angesprochen wird merkt man auf. Wenn man etwas von dem anderen möchte, fragt man höflich. Keiner muss sich grob behandeln lassen, deswegen haben beide das Recht und die Pflicht sich körperlich zu wehren, wenn der andere seine Grenzen missachtet.

Die Vokabeln sind die Berührungen am Gebiss, Zügel, Bein und Gerte, sie sollten immer als erstes ein Loslassen auslösen. Danach bekommt die Berührung eine Richtung, Takt, Geschwindigkeit, und dann wird sie wieder zum Loslassen-Signal.

Vokabelheft: Zunge und Kiefer lösen, Hals anheben/senken, Genick links/rechts loslassen, Genick öffnen/schließen, Schulter nach links/rechts verschieben, vorwärts, rückwärts, Kruppe senken, Kruppe nach rechts/links verschieben, Brustkorb anheben, Schritt, Trab, Galopp. Jede Bewegung des Reiters beginnt in seiner Körpermitte und fließt zum Zügel, Bein, Gebiss oder Gertenende. Bis man die Bewegungen nur noch mit seinem Körper beginnen muss und das Pferd sie mit seinem Körper zu Ende ausführt.

Wie bringe ich sie meinem Pferd bei?
Tamina Pinent: Indem man es selber lernt. Man bringt dem Pferd weniger etwas bei als dass man sich mit ihm unterhält. Allzu oft bringt das Pferd uns bei zu lernen, dass die Unwissenheit nicht hauptsächlich beim Pferd liegt.

Mehr Informationen unter: www.reithaus.de

Experten

Tamina Pinent und Philipp Seifert betreiben im Hessischen Bad Sooden-Allendorf das ReitHaus. Dort leben die Pferde in Gruppen zusammen und werden nach den Prinzipien der École de Légèreté und Humanship verstanden. Als promovierte Biologin und studierter Agrarwissenschaftler kombinieren die beiden strukturiertes Denken mit der Körper- und Geistesschulung, die sie aus dem klassischen Ballett bzw. klassischen Kung-Fu mitbringen.